Die Rückkehr der Zehnten
findet.«
»Auf welcher Seite stehst du, Levin?«, flüsterte sie.
Seine Augen glühten hell unter der Rußmaske über seinen Augen. Plötzlich kam er auf sie zu und packte sie am Arm, zerrte sie auf die Beine, sodass er ihr in die Augen sehen konnte. Wut funkelte in seinem Blick. »Hör zu, du bist nicht mein Richter. Ich diene Swantewit, hörst du? Ich stehe auf keiner Seite, dies ist nicht mein Krieg, es sei denn, Swantewit schickt mich in den Kampf.«
Sie riss sich los und trat einen Schritt zurück. Verwundert rieb sie ihren Arm, an dem sich die Druckstellen von Levins Fingern rot abzeichneten. Sie betrachtete ihn wie einen Fremden, denn nach diesen Worten war er ein Fremder. »Levin«, flüsterte sie. »Weißt du noch, weshalb du dich bei Niam um Einlass bemüht hast? Du bist der Einzige, der uns helfen kann, die Botschaft des Kuriers zu erfahren und die Gefangenen zu befreien. Hast du keine Möglichkeit entdeckt?«
Sein Gesicht zuckte, sie fragte sich, ob er zu lachen anfangen würde. »Ich habe es nicht vergessen«, antwortete er leise. »Ich habe euch mein Wort gegeben und ich werde euch helfen. In wenigen Stunden werde ich das Orakel sprechen, dann ist der Turm für einen Moment so gut wie unbewacht. Die Zeremonie erfordert, dass die Krieger ihre Lanzen niederlegen. Wenn Zoran genug Mut hat, soll er diese Zeitspanne ausnutzen und die Wachen vor dem Turm überwältigen.«
Lis atmete tief durch. In ihre Erleichterung mischte sich Argwohn. Fast schämte sie sich dafür. »Du wirst ein Orakel sprechen?«, fragte sie.
Er nickte. Seine Miene verriet, dass es ihm ernst war, bitter ernst. Da war nichts Verschmitztes mehr, keine Lust am Spiel. Glaubte er wirklich, dass er ein Priester war? Sie dachte an Matej und wagte nicht zu fragen. Stattdessen trat sie nahe an ihn heran und flüsterte ihm zu: »Erinnerst du dich noch an Piran, Levin?«
Er runzelte die Stirn, so hatte er sie immer angeschaut, wenn sie ihn bei einem Computerspiel störte. Er zuckte die Schultern.
Der letzte Strohhalm ihrer Realität schien in Staub zu zerfallen.
Schließlich seufzte er und wandte sich brüsk seinem Priesterschrein zu. »Hör zu, Lisanja, ich muss noch viel vorbereiten. Ich werde bei Niam erwartet. Er überlegt, den Kriegszins an den Tempel, der bei uns üblich ist, auch hier einzuführen.«
Bei uns üblich?, dachte Lis. Bei wem üblich? In der Rollenspiel-Gruppe, wo Leute wie er in Waldstücken neben der Autobahn ein Parallelleben inszenierten? Am liebsten hätte Lis ihren Bruder geschüttelt und ihn angebrüllt, er solle endlich aufwachen. Aber sie beherrschte sich und wandte sich zur Tür. »Ich will dich nicht länger stören, aber ich bitte dich nur noch um eines.«
Er sah sie nicht an, sondern blieb mit dem Rücken zu ihr stehen.
»Bitte komm heute mit mir auf die Stadtmauer, ich will dir etwas zeigen.«
Seine Schultern strafften sich. »Sarazenen? Ich habe sie heute vom Priesterturm aus gesehen. Sie lagern im Westen und besetzen die Felder. Niam vermutet, dass sie die Stadt erst aushungern wollen, bevor sie uns angreifen.«
»Um die Sarazenen geht es mir nicht«, sagte sie. »Es geht um dich und um mich. Bitte komm allein, wirst du das tun?«
Eine Weile stand er da wie eingefroren, sie fragte sich, ob er sie abweisen würde, doch dann entspannten sich seine Schultern, er drehte sich um und lächelte sie an. Plötzlich sah sie wieder ihren Zwillingsbruder.
»Ich werde da sein«, antwortete er in diesem altertümlichen, gedehnten Slowenisch, das auch Lis inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen war. »Nach dem Abendgebet mit den Priestern warte ich am Brunnen neben dem Palast auf dich.«
Lis fand Tona in Zlatas Haus. Wie jeden Tag hatte sie der alten Frau in einem heißen Tontopf das Essen gebracht. Auch Lis hatte Kuchenlaibe und eine Muscheltasse voll Honig mitgebracht. Sie wusste, dass Niams Späher seit der Festnahme der Kuriere noch wachsamer waren und auch ihre Wege verfolgten. Solange sie sich in Levins Nähe oder im Palast aufhielt, war sie relativ sicher, aber die kleinste Unvorsichtigkeit im Gespräch mit jemandem aus Zorans Zirkel konnte sie verraten.
Tona wurde blass, als sie Lis durch die schmale Tür eintreten sah, und starrte unwillkürlich zur Tür. Erwartet sie schon, dass ich die Priester mitbringe?, dachte Lis missmutig. Trotzdem lächelte sie Tona an und begrüßte Zlata mit Ehrfurcht.
Vielleicht sollte ich gehen, dachte Lis und schaute aus dem Fenster. Der schattenhafte Verfolger,
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