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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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nach spürte sie, wie ihre Gedanken zur Ruhe kamen und sie sich etwas entspannte. Möwen flogen dicht über dem Wasser dahin. Ihre Schreien waren so schrill, dass es beinahe schmerzte, ihnen zuzuhören. In der Ferne durchschnitt die Rückenflosse eines Delfins das Wasser und verschwand sofort wieder.
    Matej strich sich vorsichtig über die Wunde in seinem Gesicht und dachte nach. »Es sei denn, wir schwimmen nach Sonnenuntergang und tarnen uns, damit wir aussehen wie ein Stück Treibgut«, sagte er plötzlich und sah sie an. »Dann hätten wir gute Chancen, Antjana unbehelligt zu verlassen. Wir könnten von zwei verschiedenen Stellen losschwimmen. Dann haben wir auch die Möglichkeit, von verschiedenen Seiten ins Lager der Sarazenen zu kommen.«
    »Nein!«
    Lis schüttelte heftig den Kopf. Er sah sie verdutzt an. »Du kannst nicht mitkommen, Matej. Du musst hier bleiben, du bist der Einzige, der die Geheimgänge kennt – auch die, die noch nicht von Niams Leuten entdeckt und verschlossen wurden. Die Sarazenen können nicht über die Mauer in die Stadt gelangen. Das wissen sie und deshalb zögern sie mit dem Angriff.« Sie schluckte. »Die Desetnica muss in die Stadt kommen, es ist die einzige Möglichkeit, Karjan und die anderen zu retten.«
    Seine Augen waren traurig wie immer, dennoch glänzte wieder ein spöttisches Funkeln darin. »Du würdest alles für Karjan tun, nicht wahr?«, sagte er. »Liebst du ihn so sehr?«
    Lis schaute ihn so verblüfft an, dass er errötete und den Kopf abwandte. Alles hätte sie erwartet, aber nicht diese Frage, nicht von Matej. Matej, dem Unnahbaren, dem Ritter mit dem Stahlherz und der scharfen Zunge. Ihr Zwerchfell kribbelte, am liebsten hätte sie laut losgelacht. »Ja, ich liebe ihn – wie einen Bruder«, antwortete sie. »Weil er mein Bruder ist. Wir sind Zwillinge, auch wenn wir nicht so aussehen.«
    Er starrte sie an, als hätte sie verkündet, dass sie hier an der Bushaltestelle stehe und auf die nächste fliegende Kuh warte. Dann wurde sein Gesicht weich, seine Augen blitzten auf. Zum ersten Mal hörte sie den traurigen Matej lachen. Er sah nett aus, wenn er lachte. Plötzlich konnte sie sich vorstellen, wie er gewesen sein musste, als er in Piran lebte. Ein unbekümmerter, drahtiger Junge, der in T-Shirt und Jeans herumlief und dem die Mädchen sehnsüchtig nachschauten. Nicht so arrogant wie ihr Cousin Bojan, aber sehr viel erwachsener als Levin. Gerne wäre sie näher an ihn herangerückt, hätte seine Hand genommen und sich vielleicht sogar in seine Umarmung geflüchtet, aber sie traute sich nicht, in der Angst, den neuen Matej zu vertreiben und wieder zurückgestoßen zu werden.
    »Zlata wusste es«, sagte er. »Von Anfang an. Und ich habe ihr nicht geglaubt.« Ihr Herz machte einen Satz, als er die Hand ausstreckte und ihr behutsam das Haar aus der Stirn strich. Sie wagte nicht sich zu bewegen. »Tona hat mir erzählt, dass Marzana dich niedergeschlagen hat«, sagte er sanft. »Tut die Wunde sehr weh, Lisanja?«
    »Mein Name ist Lis«, erwiderte sie leise. »Und mein Bruder heißt nicht Karjan, sondern Levin. Er ist gar kein Priester, auch wenn er sich nichts sehnlicher wünscht, als einer zu sein. Alles, was er über Swantewit weiß, hat er aus Büchern gelernt oder sich aus dem Internet geholt. Außerdem stammen wir nicht aus Arkona, sondern sind von Piran aus nach Antjana gekommen.« Sie machte eine Pause. »So wie du vor langer Zeit«, fügte sie hinzu.
    Matej lächelte.

Die Botschaft der Desetnica
     
    D
    as Meer war wärmer, als Lis erwartet hatte. Die Äste des Buschwerkes, unter dem sie sich verbarg, kratzten an ihrem Rücken und ihren Beinen. Langsam bewegte sie sich durch das Wasser, von dem sie hoffte, dass sich die Wolken darin spiegelten und sie weniger auffiel. Keine hastige Bewegung, sagte sie sich. Kein Platschen. Sie musste sich treiben lassen und mit der Strömung schwimmen, bis sie außer Reichweite der Pfeile und Speere war. Bei einem flüchtigen Blick über die Schulter sah sie die wuchtige Stadtmauer von Antjana, auf der die Schattenrisse der Wächter hin und her wanderten. Matej, der unter dem Vorsprung zurückgeblieben war, konnte sie längst nicht mehr erkennen. Unter ihr gähnte die Unendlichkeit des Meeres, Wind kühlte ihren nassen Kopf. Das Salzwasser brannte in der Wunde, die sich immer noch nicht geschlossen hatte. Lis kämpfte gegen Verzweiflung und Müdigkeit.
    Endlich, als die Schatten mit dem Nachthimmel verschmolzen und die

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