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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Der Fisch war immer noch da, unmittelbar vor ihr glitt er vorbei. Sie blinzelte in Erwartung eines weiteren Angriffs, als plötzlich schwaches Mondlicht auf dem Wasser glitzerte und sie ein schattiges Zickzackmuster erkannte. Trotz des Soges, der an ihren Armen zerrte, schwamm sie ein Stück zurück und sah genauer hin.
    Es war kein Riesenfisch, es war ein Schiff, das an ihr vorbeiglitt, ein schmales, schnelles Schiff mit einem trapezförmigen Segel. Das Zickzackmuster, das sie gesehen hatte, waren die fasrigen, dicken Schnüre, mit denen die Planken zusammengebunden waren.
    »He!«, schrie Lis und winkte, so gut sie konnte. Ihr Arm war so schwer, dass sie ihn fast nicht aus dem Wasser heben konnte. »Ich bin aus Antjana! Ich will zur Desetnica!« Immer wieder schrie sie es, bis ihre Stimme nur noch ein Krächzen war. Sie schrie auch noch, als dunkle Gesichter sie über die Reling anstarrten, als jemand neben ihr ins Wasser sprang und ihr ein Seil um den Leib band. »Zur Desetnica!«, flüsterte sie hustend, nachdem die Sarazenen sie längst an Deck gehievt hatten.
     
    Es war ungewohnt, die Holzplanken unter den Füßen und Knien zu spüren. Ihre Haut war vom Meerwasser aufgeweicht und taub von der Kälte der Erschöpfung. Sie zitterte im Nachtwind, doch ihre Erleichterung war so groß, dass sie am liebsten gejubelt hätte, so glücklich war sie, noch am Leben zu sein.
    Grimmige Gesichter schauten auf sie herab, im Mondlicht sahen die Augäpfel unheimlich und hell aus. Lis hörte ein leises Rasseln wie von Ketten. Im nächsten Moment fing sich der Duft getrockneter Datteln in ihrer Nase.
    »Balach«, sagte ein älterer Mann, dessen Haar und Hals von einem schwarzen Tuch verhüllt waren, und reichte ihr die Früchte. »Hina, kul il-balach!«
    Lis wagte nicht die Früchte abzulehnen, also streckte sie die Hand aus und nahm sie entgegen.
    »Ma fala hasaj il-ba’yr fi muntazfah il-bachr?«, sagte ein jüngerer Seemann und lachte rau. Die anderen fielen in das Lachen ein und deuteten auf sie, als hätte er einen sehr guten Witz gemacht.
    Der ältere Mann, der Lis die Datteln angeboten hatte, lachte nicht, sondern machte ein finsteres Gesicht. »Yimkin, rubama dachdir rasul min il-medineh Antjana?«
    Der Tonfall seiner Stimme klang besorgt. Lis erwachte aus ihrer Apathie und richtete sich auf. »Antjana, ja!« Sie nickte und deutete auf sich. »Ich habe eine Botschaft für die Desetnica!«
    Sie sahen sie an, ohne dass sie in den undurchdringlichen Gesichtern eine Regung entdecken konnte. Unbehagen kroch ihr den Nacken hoch und warnte sie, auf der Hut zu sein.
    Der ältere Mann, der der Anführer zu sein schien, wechselte ein paar Worte mit dem jungen Spötter, dann herrschte er Lis an: »Kul il-balach!«, und deutete auf die Datteln in ihrer Hand. Lis schob sich gehorsam eine der Früchte in den Mund und versuchte nicht an die Absurdität dieser Situation zu denken. Nach dem Salzgeschmack des Meeres, den sie immer noch in ihrem Mund spürte, waren die Datteln so überraschend süß, dass ihre Kiefermuskulatur sich zusammenzog. Plötzlich überfiel sie der Hunger so heftig, dass ihr übel wurde.
    Die Männer waren zum Ruder gegangen und beratschlagten. Erleichtert sah Lis, wie das Schiff schließlich abdrehte und Kurs auf das Festland nahm, dorthin, wo plötzlich wieder unzählige Feuerpunkte flackerten.
    Sie hörte die Wellen, die gegen den Schiffsrumpf schlugen, und fühlte, wie der Schwung des schaukelnden Schiffes sie schwer gegen die Planken drückte und wieder hochhob. Fast schlief sie ein in diesem stetigen Rhythmus. Jemand legte ihr ein schweres Tuch um die Schultern. Es roch nach Schweiß und Jasmin, doch es hielt den Nachtwind ab, sodass nach und nach die Wärme in ihre Arme und Beine zurückkehrte. Die Übelkeit wurde besser und sie aß auch noch die anderen Datteln. Im Schein des Mondes konnte sie Waffen und Kleidung der Männer lediglich erahnen. Kantige Gesichter und sehnige Hände leuchteten im Mondschein auf. Lis sah lange Beinkleider, die mit Lederriemen umwickelt waren, und Überwürfe, die den Sarazenen bis zu den Knien gingen. Ab und zu leuchtete dort, wo das dicke Hemd an der Brust in einem V geöffnet war, ein Geflecht aus Ketten auf. Lis begriff, dass die Männer, die sie anfangs für unbewaffnete Seeleute gehalten hatte, Krieger mit Kettenhemden unter den Gewändern waren. Einer trug ein kurzes Beil am Gürtel, andere hatten ihre Bogen an die Reling gelehnt und spähten auf das Meer.
    Das Schiff

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