Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
Vom Netzwerk:
war an Bug und Heck völlig gleich gestaltet und lief spitz zu. Offensichtlich waren für seinen Bau keine Nägel verwendet worden. Das Einzige, was die nach Fischöl riechenden Planken zusammenhielt, waren die über Kreuz festgezurrten Schnüre aus dicken Fasern.
    Holz knirschte auf Stein, als sie bei den weißen Uferfelsen Halt machten und das Schiff mit dünnen Tauen befestigten. Der gezackte Sporn stieß von einer großen Welle getragen so hart gegen einen Felsen, dass ein Ruck durch Schiff und Mannschaft ging.
    Lis wurde ohne Vorwarnung hochgezogen. Kräftige Arme griffen sie um die Taille und hoben sie einfach über die Reling, wo sie mit zitternden Knien auf dem Felsen landete. Schweigend sprangen zwei der Krieger neben ihr an Land. Wieder wurde sie auf die Beine gezerrt. Die Grobheit irritierte sie. Sie hatte erwartet, dass sie sich weiter bemühen würden, ihr Anliegen zu verstehen, doch stattdessen gingen sie ihr voraus und trieben sie mit gebellten Befehlen über die dunklen Pfade.
    Ihre Füße stießen an Steine und streiften dorniges Gestrüpp. Lis begann wütend zu werden, denn die Krieger nahmen keinerlei Rücksicht darauf, dass sie ihnen nicht so schnell folgen konnte. Ihre Beine taten weh von der Anstrengung, aus dem Tonfall der Worte glaubte sie Hohn und Ungeduld herauszuhören. Bestimmt dachten sie, sie sei eine Memme, die nicht einmal ein paar Kilometer zu Fuß schaffte. Sie biss die Zähne zusammen und stolperte weiter, aber sie hasste die Sarazenen, die keine Anstalten machten, das Tempo zu verringern.
    Endlich, als sie schon spürte, dass Blasen ihre Füße bedeckten und sie sich den Zeh blutig gestoßen hatte, sah sie einen Lichtschein zwischen den Büschen. Stimmen trieben zu ihnen herüber. Der Sarazene, der vorausgelaufen war, ging langsamer und rief ein Wort, das ein Erkennungsruf sein mochte. Etwa zwanzig Stimmen antworteten ihm. Lis blinzelte in den Feuerschein und zog sich die Decke enger um den Körper. Ihre Kopfhaut pochte wieder an der Stelle, wo sich die Platzwunde befand.
    »Hina, is’al ba’den!«, sagte einer der beiden Krieger, die sie begleitet hatten, und schubste sie in den Feuerschein. Der andere lachte, und schon waren sie verschwunden. Wieso ließen sie sie allein? Lis schluckte und sah sich um. Humorlose, harte Gesichter wandten sich ihr zu. Ruhig starrten sie sie an, kein Wort war zu hören, nur das Knistern des Feuers und das Zirpen der Grillen durchbrachen die Stille.
    Es waren fast alles junge Männer mit Narben im Gesicht. Einem fehlte die halbe Augenbraue, der andere hatte eine schlecht verheilte Brandwunde auf der rechten Wange und einem Teil der Nase. Im Feuerschein leuchteten die dunkelvioletten und blauen Gewänder, Kettenhemden blitzten hier und da hervor. Hier trug jeder ein Beil, einen Bogen oder einen Speer, den er neben sich gelegt hatte. Wie die Strahlen einer Sonne lagen die Waffen um das Lagerfeuer, über dem in einem schmalen Topf eine Flüssigkeit kochte, die Tee sein mochte.
    Sie wussten nicht, dass sie eine Kurierin war, wurde Lis mit einem Schlag klar, bestenfalls hielten sie sie für einen Flüchtling. Plötzlich drohte sie wieder in Panik zu geraten. Wie sollte sie hier die zehnte Tochter finden? Vielleicht war sie gar nicht in der Nähe dieses Lagers, sondern auf einem der Schiffe? Ruhig Lis, befahl sie sich und fasste die Decke fester in der Hoffnung, die Sarazenen würden auf diese Weise nicht bemerken, wie sehr ihre Hände zitterten.
    Sie trat einen Schritt vor und räusperte sich, um den Satz zu sagen, den sie heute, wie ihr schien, schon tausend Mal gesagt hatte: »Ich komme aus Antjana und ich muss zur Desetnica!«
    Die Krieger sahen sich ratlos an. »Qualat hasaj il-bint, ana min il-medineh Antjana?«, fragte einer.
    Lis nickte und deutete auf das Meer, dort, wo die Stadt unsichtbar von der Dunkelheit verschluckt lag. »Dorthin muss ich zurück. Aber vorher muss ich zu eurer Herrin, der Desetnica!«
    Immer noch schien der Funke der Erkenntnis nicht übergesprungen zu sein. Stattdessen erhob sich der Mann mit der halben Augenbraue und kam auf sie zu, betrachtete sie von allen Seiten, ging um sie herum, als würde er ein Pferd auf dem Markt begutachten. Lis wurde immer unbehaglicher zumute, entschlossen wich sie zurück – und stieß auf eine Hand, die sie fest an der Schulter packte und umdrehte.
    »He!«, schrie sie. »Lass das!«
    Doch schon war wieder jemand da, knuffte sie grob in die Seite, Hände zerrten an der Decke. Wohin sie

Weitere Kostenlose Bücher