Die Rückkehr des Bösen
gebaut hat. »In einer triumphiert euer taubes Kind. Aber das ist die am wenigsten wahrscheinliche
Vision, und in der Stunde ihres Sieges stirbt sie mit all ihren Getreuen. In einer anderen
sprengt mein Gatte die Fesseln seines Grabes und errichtet seine Schreckensherrschaft aufs Neue. Diese Finsternis hält zehntausend Jahre lang an. In der dritten Vision wird er ein für allemal vernichtet. Das ist die stärkste, die forderndste Vision. Doch der Preis ist hoch… Gibt es Götter, Croaker? Ich habe nie an Götter geglaubt.« »Ich weiß es nicht, Lady. Keine Religion, die mir je über den Weg gelaufen ist, ergibt irgendeinen Sinn. Nicht eine ist in sich schlüssig. Die meisten Götter sind laut ihren Anbetern durchgedrehte Wahnsinnige mit Verfolgungswahn. Mir ist nicht klar, wie sie ihren eigenen Wahnsinn überleben könnten. Aber es ist nicht auszuschließen, daß Menschen eine Macht, die so viel größer ist als sie selbst, nicht deuten können. Vielleicht sind Religionen verdrehte und abwegige Schatten der Wahrheit. Vielleicht gibt es tatsächlich Mächte, die die Welt gestalten. Ich habe selbst niemals verstehen können, warum eine Gottheit in einem so gewaltigen Weltall sich um etwas so Geringes wie Verehrung oder das menschliche Schicksal bekümmern sollte.«
»Als ich noch ein Kind war… hatten meine Schwestern und ich einen Lehrer.« Ob ich jetzt aufpaßte? Worauf Ihr Euer Fell verwetten könnt: Ich paßte auf wie ein Luchs. Von den Zehennägeln bis zum Schädeldach war ich ganz Ohr. »Einen Lehrer?« »Ja. Er hat behauptet, daß wir die Götter sind, daß wir unser eigenes Schicksal erschaffen. Das, was wir sind, bestimmt, was aus uns wird. Grob gesagt, bringen wir uns selbst in Situationen, aus denen es kein Entkommen gibt, weil wir einfach nur sind, was wir sind, und mit anderen unseresgleichen in Wechselwirkung treten.« »Interessant.«
»Nun ja. Es gibt eine Art Gott, Croaker. Weißt du das? Allerdings keinen, der Ereignisse formt und beeinflußt. Nur einen Vernichter. Einen Beschließer der Geschichten. Sein Hunger kann nie gestillt werden. Das Universum selbst wird von ihm verschlungen werden.« »Der Tod?«
»Ich will nicht sterben, Croaker. Mein ganzes Wesen begehrt kreischend gegen die Ungerechtigkeit des Todes auf. Alles, was ich bin, war und wahrscheinlich sein werde, wird von meinem Verlangen gestaltet, meinem Ende zu entgehen.« Sie lachte leise auf, aber darunter lag ein Hauch von Hysterie. Mit einer Handbewegung umschrieb sie das im Schatten liegende Schlachtfeld unter uns. »Ich hätte eine Welt errichtet, in der ich mich in Sicherheit befinde. Und der Eckstein meiner Zitadelle wäre der Tod gewesen.« Das Ende des Traumes rückte näher. Auch ich konnte mir eine Welt, in der es mich nicht gab, nicht vorstellen. Und mein inneres Selbst war empört. Ist empört. Es bereitet mir keine Schwierigkeiten, mir jemanden vorzustellen, der davon besessen ist, dem Tod entkommen zu wollen. »Das verstehe ich.«
»Vielleicht. Vor dem dunklen Tor sind wir alle gleich, oder? Für uns alle rieselt der Sand im Glas. Das Leben ist nur ein Aufflackern, das trotzig in die Kiefer der Ewigkeit hineinbrüllt. Aber es kommt mir so verflucht ungerecht vor!« Altvater Baum erschien in meinen Gedanken. Auch er würde irgendwann dahingehen. Ja. Der Tod ist unersättlich und grausam.
»Hast du nachgedacht?« fragte sie mich.
»Ich denke schon. Ich bin kein Totenbeschwörer. Aber ich habe Wege gesehen, die ich nicht beschreiten will.«
»Ja. Es steht dir frei zu gehen, Croaker.« Schock. Selbst meine Fersen kribbelten vor Ungläubigkeit. »Was?« »Du bist frei. Das Tor des Turmes steht dir offen. Du mußt es nur durchschreiten. Aber du kannst genauso gut auch bleiben und dich wieder in den Kampf einschreiben, der uns alle umgibt.«
Bis auf einen Rest Sonnenlicht, das einige hohe Wolken beschien, war es fast völlig dunkel. Ein Geschwader aus hellen Punkten kam aus dem Osten in westliche Richtung und offenbar auf den Turm zu.
Ich stotterte etwas, das keinen Sinn ergab. »Ob sie es nun will oder nicht, die Lady von Charm liegt wieder einmal im Krieg mit ihrem Gatten«, sagte sie. »Und bis dieser Kampf gewonnen oder verloren ist, gibt es keinen anderen. Du siehst, daß die Unterworfenen zurückkehren. Die Heere des Ostens marschieren auf das Gräberland. Jene jenseits der Steppe haben den Befehl erhalten, sich in Garnisonen weiter östlich zurückzuziehen. Dein taubes Kind ist nicht in Gefahr, wenn sie nicht danach
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