Die Rückkehr des Bösen
Oberfläche des Sees. Winzige Wellen huschten vom Grab aus in ihre Richtung. Beide erschauerten. »Ich wünschte, dieses Wetter würde endlich umschlagen«, brummte Corbie. »Hast du noch Zeit für einen Tee?« »Ja.«
Das Wetter blieb kalt und naß. Der Sommer stellte sich spät ein. Dafür kam der Herbst früh. Als der Große Tragic sich schließlich zurückzog, hinterließ er eine Schlammebene, über die die Überreste großer Bäume verstreut lagen. Sein Bett hatte sich eine halbe Meile nach
Westen verlagert.
Die Waldstämme verkauften immer noch Pelze.
Zufall heißt Zusammenfallen der Dinge. Corbie hatte seine Renovierungsarbeiten beinahe abgeschlossen. Er setzte gerade einen Schrank instand. Als er eine hölzerne Kleiderstange entfernte, rutschte sie ihm aus der Hand. Die Stange zerfiel in mehrere Teile, als sie auf dem Boden auftraf.
Er kniete. Er starrte. Sein Herz hämmerte in seiner Brust. Eine schmale weiße Seidenrolle war freigelegt worden… Sachte und behutsam setzte er die Stange wieder zusammen und nahm sie mit nach oben.
Behutsam und sachte holte er die Seide hervor und rollte sie auf. Sein Magen krampfte sich zusammen.
Es war Bomanz’ Zeichnung des Gräberlandes, komplett mit Anmerkungen, welcher Unterworfene an welcher Stelle lag, wo und warum Fetische aufgestellt worden waren und über die Stärke der Schutzzauber; verstreute Angaben über die bekannten Ruhestätten von Unterlingen der Unterworfenen, die ihren Anführern in die Grube gefolgt waren. Wirklich eine dicht bekritzelte Karte. Die meisten Anmerkungen waren in TelleKurre abgefaßt. Auch Grabstätten, die außerhalb des eigentlichen Gräberlandes lagen. Die meisten Toten des Fußvolkes waren in Massengräbern beerdigt worden. Die Schlacht beflügelte Corbies Phantasie. Einen Augenblick lang sah er die Truppen des Dominators, wie sie fest standen und bis auf den letzten Mann starben. Er sah, wie eine Angriffswelle der Weißen Rose nach der anderen sich opferte, um den Schatten in seiner Falle festzuhalten. Über ihnen versengte der Große Komet wie ein gewaltiger Flammensäbel den Himmel.
Aber er konnte es sich nur vorstellen. Verläßliche historische Berichte gab es nicht. Er empfand Mitgefühl für Bomanz. Armer närrischer kleiner Mann, ein Träumer, der nach der Wahrheit suchte. Seine finstere Legende hatte er nicht verdient. Corbie starrte die ganze Nacht lang auf die Karte und nahm sie in sein Mark und in seine Seele auf. Für seine Übersetzungen nützte sie ihm wenig, aber sie warf etwas Licht auf das Gräberland. Und mehr noch, sie gab Auskunft über einen Zauberer, der so sehr an seine Sache glaubte, daß er sein gesamtes Erwachsenenleben mit dem Studium des Gräberlandes verbracht hatte.
Das Licht der Morgenröte ließ Corbie hochschrecken. Einen Augenblick lang zweifelte er an sich selbst. War es möglich, daß er der gleichen tödlichen Leidenschaft zum Opfer fallen konnte?
NEUNTES KAPITEL
Die Schreckenssteppe
Der Leutnant warf mich höchstpersönlich aus den Federn. »Croaker, Elmo ist wieder da. Schnapp dir was zum Frühstück und melde dich dann im Besprechungsraum.« Er war ein mißmutiger Mann, der jeden Tag sauertöpferischer wurde. Manchmal bedaure ich, daß ich für ihn gestimmt hatte, nachdem der Hauptmann in Juniper gestorben war. Aber es war der Wunsch des Hauptmanns gewesen. Sein letzter Wunsch. »Bin sofort da«, sagte ich und rappelte mich ohne mein übliches Geknurre in die Höhe. Ich warf meine Kleider über, schob einige Papiere hin und her und lachte mich insgeheim aus. Wie oft hatte ich nicht meine Wahl des Hauptmanns selbst bezweifelt? Aber als er abtreten wollte, ließen wir es nicht zu.
Meine Unterkunft sieht der Behausung eines Arztes überhaupt nicht ähnlich. Vom Boden bis zur Decke sind die Wände mit alten Büchern zugepflastert. Die meisten davon habe ich auch gelesen, nachdem ich die Sprachen studierte, in denen sie geschrieben waren. Einige sind so alt wie die Schar selbst und geben Geschichten aus alter Zeit wieder. Andere sind Adelsgenealogien, die aus weit verstreuten alten Tempeln und Ämtern zusammengestohlen wurden. Die seltensten und somit interessantesten befassen sich mit Aufstieg und Fall der Unterdrückung.
Und von diesen sind diejenigen am seltensten, die in TelleKurre geschrieben wurden. Die Gefolgsleute der Weißen Rose waren keine sanftmütigen Sieger. Sie verbrannten Bücher und Städte, verschleppten Frauen und Kinder, schändeten uralte Kunstwerke und berühmte Schreine.
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