Die Rückkehr Des Bösen
sein.“ Und um den Eindruck zu erwecken, er sei genauso verblüfft wie er, fügte er hinzu: „Hab mich schon gewundert, dass du allein heruntergekommen bist.“
„Können wir denn nicht hier auf meinen Onkel warten?“ fragte Timmy.
„Wir hatten abgemacht, uns in der Suite zu treffen. Ich glaube nicht, dass er noch mal runter in die Lobby kommt.“ Er sah Timmy in die Augen. „Möchtest du ihn anrufen?“
Die Frage allein schien den Jungen schon zu beruhigen, denn er schüttelte verneinend den Kopf.
Dann führte Keller ihn hinauf zu seinem Zimmer. Als sie über den Flur gingen, ließ er Timmy den Vortritt und schob Kasabs Dienstmarke im Vorbeigehen unbemerkt in einen Stapel schmutziger Handtücher auf dem Putzkarren des Zimmermädchens. Dabei redete er beruhigend auf den Jungen ein, versicherte ihm, sie würden alles besprechen, sobald sein Onkel und sein Freund einträfen.
Als Timmy dann an der Zimmertür zögerte, schlug Keller ihm vor, er könne auch auf dem Gang warten, wenn er wolle, fügte aber hinzu, dann müsse er sich allerdings in Acht nehmen, denn er habe bemerkt, dass sievonjemandembeschattet würden. Timmy warf einen Blick über die Schulter zurück in den Flur, dann folgte er Keller in das Zimmer.
Endlich würde er vollenden können, was ihm damals nicht mehr möglich gewesen war. Er wollte Timmy ja nur helfen, so, wie all den anderen Jungen, die er erlöst hatte von dem Missbrauch, den sie daheim erdulden mussten. Damals hatte Timmy behauptet, er kriege immer schnell blaue Flecken. Aber gaben sie das nicht alle vor, um die Taten ihrer Eltern zu vertuschen? Inzwischen wirkte der Junge völlig normal, ein bisschen dünn zwar, aber gesund. Wobei Keller aus eigener Erfahrung wusste, dass seelische Wunden niemals heilten.
„Wenn du möchtest, kannst du dich ruhig setzen“, lud er den Jungen ein.
„Nee, lassen Sie nur. Ich warte, bis Onkel Nick und Gibson kommen.“
Timmy blieb also stehen, den Blick zur Tür gerichtet und von einem Fuß auf den anderen tretend. Keller hasste Gezappel.
Und genau in diesem Moment, wie auf Stichwort, klingelte das Telefon.
„Hallo?“ rief Keller in den Hörer, wobei er so tat, als hätte er gar keinen Anruf erwartet.
„Guten Abend, Mr. Keller. Hier ist die Rezeption, wie Sie es gewünscht hatten.“
„Ja, Timmy ist hier bei mir. Wo, sagten Sie, sind Sie jetzt?“ Keller blickte zu Timmy hinüber, der nach wie vor an der Zimmertür stand.
„Hier ist die Rezeption, Sir!“ wiederholte der Anrufer.
„Wie lange wird das dauern? Na schön. Dann warten wir.“
„Verzeihung, Sir, aber ich verstehe nicht, was ...“
Keller legte auf, höchst zufrieden damit, wie sein Plan zu funktionieren schien, und wandte sich an Timmy. „Sie kommen etwas später. Dein Onkel muss noch was erledigen.“
Irgendetwas musste er sich einfallen lassen, irgendetwas, damit der Junge sich entspannte und endlich mit dem verdammten Gezappel aufhörte. „Nimm dir inzwischen was aus der Minibar.“
Auf einmal strahlte Timmy. „Echt?“
„Klar, nur zu. Und bring mir auch ‘ne Cola mit.“
Volltreffer! Offenbar eröffnete die Minibar eine ungeahnte Möglichkeit, das Vertrauen des Jungen zu gewinnen. Auf Knien hockte Timmy jetzt vor dem Kühlschrank und nahm dessen Inhalt in Augenschein.
Es würde alles ganz einfach sein. Fast schon zu einfach.
84. KAPITEL
Washington, D. C.
Du musst hier weg, abhauen, schoss es Gwen durch den Kopf. Worauf wartest du denn noch? Instinktiv spürte sie, dass es ihr nicht gelingen würde, Campion mit Worten wieder zur Vernunft zu bringen. Als sie das letzte Mal mit einem Verrückten in einem Raum war, da hätte ihr der Kerl beinahe einen angespitzten Bleistift in die Kehle gerammt! Doch diesmal war die Situation anders. Diesmal stand kein uniformierter Polizist draußen vor der Tür, der ihr beispringen konnte. Auch R. J. Tully würde nicht ins Zimmer gestürzt kommen, um sie zu retten. Diesmal nicht!
James Campion hatte sich zwischen ihr und der Tür aufgebaut. Sein Wutanfall war gerade wieder etwas abgeklungen, aber Gwen wusste, dass es nicht lange dauern würde, bis er erneut lostoste. Sie würde es nie im Leben bis zur Tür schaffen, geschweige denn in den Flur oder zum Aufzug. Bis dahin hätte Campion sie längst überwältigt. Die einzige ihr verbliebene Waffe war nun mal das Wort. Wieder raste ihr Blick durch das Zimmer. Nein, es gab keine andere Möglichkeit! Jedenfalls nicht, solange er nicht wieder zur Ruhe gekommen war. Sie
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