Die Rückkehr Des Bösen
Wenhoff, der Leiter der Bezirkspathologie, rief zwar die eine oder andere Anweisung hinunter, blieb aber bei Maggie auf der Böschung und machte keinerlei Anstalten, sich nach unten zu begeben. Maggie wunderte sich, dass Stan sich an einem Freitagnachmittag herbemüht hatte, obendrein an einem Feiertagswochenende. Normalerweise hätte er einen seiner Stellvertreter geschickt, aber er musste wohl instinktiv die Chance gewittert haben, in die Schlagzeilen zu kommen. Und Schlagzeilen würde dieser Fall mit Sicherheit machen, daran gab es gar keinen Zweifel.
Maggie ließ ihren Blick über das Wasser auf die Stadt jenseits des Flusses gleiten. Ungeachtet der üblichen Terrorwarnungen bereitete sich Washington auf die Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag vor, zumal bestes Wetter erwartet wurde. Nicht, dass sie irgendwas Großartiges vorgehabt hätte, außer es sich mit Harvey im Garten bequem zu machen. Sie würde, so hatte sie sich gedacht, ein paar Steaks auf den Grill werfen und sich in den neuen Thriller von Jeffery Deaver vertiefen.
Sie strich sich eine Strähne hinters Ohr, obschon die Brise sogleich an einer anderen zupfte. Ja, es hätte ein ausgesprochen angenehmer Sommertag werden können – wäre da nicht dieser abgetrennte Kopf, den jemand hier am sumpfigen Flussufer deponiert hatte. Welchen Grad von Bösartigkeit und Verachtung musste man erreicht haben, um einem Menschen kaltblütig den Schädel abzutrennen und diesen dann wie Abfall einfach irgendwo in die Landschaft zu schmeißen? Ihre Freundin Gwen warf ihr zuweilen vor, sie sei vom Bösen geradezu besessen. Maggie hingegen sah es weniger als Besessenheit denn vielmehr als einen uralten Kreuzzug. Nicht umsonst hatte sie sich für einen Beruf entschieden, dessen Sinn und Zweck die Bekämpfung und Vernichtung des Bösen war.
„Untersuchen Sie auch die Umgebung der Fundstelle!“ rief Stan nach unten. „Und dann in den Sack mit dem Ding!“
Maggie warf Stan einen verächtlichen Blick zu. Er hatte leicht reden – hier oben, wo seine auf Hochglanz polierten Schuhe nicht in Gefahr waren und man den Pesthauch des Todes nicht aushalten musste. Doch Maggie wusste, was der arme Kerl da unten vor sich hatte. Zudem war das Flussufer übersät mit Dosen und Fastfood-Verpackungen. Hier, unter der Autobahnbrücke, kamen noch Zigarettenkippen, Kondome sowie sicherlich die eine oder andere Spritze hinzu. Der Mörder war ein Risiko eingegangen, den Kopf ausgerechnet hier abzulegen.
Unter normalen Umständen hätte sie angenommen, dass der Täter planlos gehandelt hatte. Eine derartige Unvorsichtigkeit ließ auf simple Panik schließen. Da es sich hier jedoch bereits um den dritten Kopf handelte, der binnen drei Wochen innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches aufgetaucht war, war Maggie klar, dass von Unbesonnenheit keine Rede sein konnte. Der Täter verfolgte vielmehr eine abartige Strategie.
„Was dagegen, wenn ich runter komme und mir das mal ansehe?“ rief Maggie nach unten.
Detective Racine zuckte die Achseln. „Von mir aus“, erwiderte sie ohne große Begeisterung, bequemte sich allerdings zum Fuß der Böschung und bot Maggie ihren Arm als Stütze. Maggie winkte ab und hielt stattdessen Ausschau nach irgendetwas, an dem man sich festhalten konnte. Fehlanzeige, es gab weder Wurzeln, noch einen Felsvorsprung, nur Schlick und Gras. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Böschung mehr oder weniger hinunterzurutschen. Sie kam sich vor wie ein Skifahrer ohne Stöcke, als sie versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Zwar gelang es ihr, einigermaßen aufrecht an Julia Racine vorbeizuschlittern, aber viel hätte nicht gefehlt, und sie wäre im Potomac River gelandet.
Den Anflug eines Feixens auf den Lippen, schüttelte Racine den Kopf, verkniff sich aber einen Kommentar. Ein Glück, dachte Maggie. Auf den Hinweis, sie hätte ihr Angebot ruhig annehmen können, konnte sie gern verzichten. Sie wollte halt alles vermeiden, das ihr Gefühl gab, sie schulde Racine etwas oder wäre ihr gar irgendwie verpflichtet. Sie beide hatten in den vergangenen Jahren so manchen Strauß ausgefochten. Im Moment waren sie quitt, und genau bei diesem Stand der Dinge gedachte Maggie es auch zu belassen.
Sie rieb ihre Schuhe an dem hohen Gras ab, dabei bemüht, die Dreckklumpen abzustreifen, um nicht noch mehr Fremdpartikel zum Fundort zu schleppen. Die flachen Lederschuhe waren mit Sicherheit hin. Mit ihrem Schuhwerk ging sie recht achtlos um, denn allzu oft vergaß sie, ihre
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