Die Rückkehr des Drachen
kam er ihr größer vor als in ihrer Erinnerung. Und ein wenig gefährlicher. Vielleicht sogar viel gefährlicher. Seine blaugrauen Augen schienen wie gefrorenes Feuer zu brennen.
»Glaubst du, ich wüßte nicht, daß es ein Traum ist?« höhnte er. »Ich weiß, daß alles dadurch nicht weniger wirklich wird.« Er blickte angestrengt in die Dunkelheit hinaus, als suche er nach jemandem. »Wie lange wirst du es noch versuchen?« schrie er in die Nacht hinein. »Wie viele Gesichter benützt du noch? Meine Mutter, meinen Vater und jetzt sie! Hübsche Mädchen können mich auch mit einem Kuß nicht in Versuchung bringen - noch nicht einmal eine, die ich kenne! Ich verweigere mich Euch, Vater der Lügen! Ich gebe nicht nach!«
»Rand«, sagte sie nervös, »ich bin es doch, Egwene. Ich bin wirklich Egwene.«
Plötzlich, wie aus dem Nichts gekommen, hielt er ein Schwert in der Hand. Die Klinge war aus einer einzigen Flamme geschmiedet, leicht gekrümmt und mit einem Reiher verziert. »Meine Mutter hat mir Honigkuchen gegeben, aber er roch nach Gift. Mein Vater hatte ein Messer in der Hand, das er mir in die Rippen rennen wollte. Sie... sie hat mir Küsse geboten und noch mehr.« Schweiß rann über sein Gesicht. Sein Blick schien zu reichen, um sich daran zu entzünden. »Und was bringst du mir?«
»Du wirst mir zuhören, Rand al'Thor, und wenn ich mich auf dich setzen muß!« Sie berührte Saidar und lenkte den Strom, so daß die Luft ihn wie in einem Netz festhielt.
Das Schwert wirbelte in seiner Hand und dröhnte dabei wie das Feuer eines Hochofens.
Sie ächzte und taumelte. Es war, als sei ein zu straff gespanntes Seil plötzlich gerissen.
Rand lachte. »Ich lerne es auch, wie du siehst. Wenn es funktioniert... « Er verzog das Gesicht und ging auf sie zu. »Ich könnte jedes Gesicht ertragen, aber nicht das. Nicht ihr Gesicht, seng dich!« Das Schwert blitzte auf.
Egwene floh.
Sie war sich nicht sicher, was sie da tat oder wie, aber sie befand sich mit einem Mal wieder zwischen den Hügeln unter einem strahlenden Himmel, und Lerchen sangen und Schmetterlinge tanzten. Sie atmete tief und zittrig ein.
Ich habe erfahren - was? Daß der Dunkle König noch hinter Rand her ist? Das weiß ich auch so. Daß der Dunkle König ihn wahrscheinlich töten will? Das ist etwas anderes. Außer, er ist tatsächlich bereits wahnsinnig und weiß nicht, was er sagt. Licht, warum konnte ich ihm nicht helfen? O Licht, Rand!
Sie atmete noch einmal tief durch, um ruhiger zu werden. »Der einzige Weg, ihm zu helfen, ist, ihn einer Dämpfung zu unterziehen«, murmelte sie. »Aber da kann man ihn ja gleich umbringen.« Ihr Magen verknotete sich bei diesem Gedanken. »Das werde ich niemals machen. Niemals!«
Ein Rotkehlchen ließ sich auf einem Schlehenbusch in der Nähe nieder und hielt den Kopf schräg, um sie zu beobachten. Sie sprach den Vogel an: »Also, ich helfe niemandem damit, wenn ich hier herumstehe und Selbstgespräche führe, oder? Oder wenn ich mit dir rede.«
Das Rotkehlchen flog auf, als sie auf den Busch zutrat. Beim zweiten Schritt war es nur noch ein weghuschender Farbfleck, und beim dritten war es in einem Dickicht verschwunden.
Sie blieb stehen und holte den Steinring an seinem Riemen aus ihrem Kleid hervor. Warum veränderte es sich nicht? Alles hatte sich bisher so schnell verändert, daß sie kaum zum Atemholen gekommen war. Warum nicht jetzt? Gab es hier in der Umgebung eine Antwort auf diese Frage? Sie sah sich unsicher um. Die Blumen neckten sie, und die Lieder der Lerchen verspotteten sie. Dieser Ort schien zu sehr ihrer eigenen Sehnsucht zu entspringen.
Entschlossen festigte sie ihren Griff um den Ter'Angreal. »Bring mich dorthin, wo ich hin muß.« Sie schloß die Augen und konzentrierte sich auf den Ring. Er bestand schließlich aus Stein, und so sollte das Element Erde ihr ein Gefühl für ihn verleihen. »Mach schon. Bring mich dorthin, wo ich sein will.« Wieder rief sie Saidar herbei und ließ ein Rinnsal der Macht in den Ring hineinsickern. Sie wußte, daß er die Macht eigentlich nicht benötigte, um zu funktionieren, und so versuchte sie auch nicht, etwas Bestimmtes damit zu erreichen. Sie wollte ihm nur mehr Energie zuleiten. »Bring mich dorthin, wo ich eine Antwort finde. Ich muß wissen, was die Schwarzen Ajah vorhaben. Bring mich zu der Antwort.«
»Tatsächlich. Ihr habt also endlich den Weg gefunden, Kind. Hier gibt es alle möglichen Antworten.«
Egwene riß die Augen auf. Sie stand
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