Die Rückkehr des Drachen
seltsame Sache, Aes Sedai. Von all den eigenartigen Dingen, die ich zu sehen erwartete, als Melaine mich aus der eigenen Festung über die Drachenmauer hetzte, war noch keines so eigenartig wie dieses. Ich hatte niemals erwartet, auf einen solchen Weg gehen zu müssen wie den, den Ihr mir gewiesen habt.«
»Ich weise Euch keinen Weg«, sagte Nynaeve in scharfem Tonfall. »Ich will lediglich meine Reise fortsetzen. Diese Männer hatten Pferde. Wir nehmen uns drei davon und brechen wieder auf.«
»In der Nacht, Aes Sedai?« fragte Rhuarc. »Ist Eure Reise so dringlich, daß Ihr es riskiert, nachts durch dieses gefährliche Gebiet zu ziehen?«
Nynaeve kämpfte sichtlich mit sich und sagte dann: »Nein.« Mit gefestigter Stimme fügte sie hinzu: »Aber wir werden bei Sonnenaufgang losreiten.«
Die Aiel trugen die Toten aus der Palisadenumzäunung hinaus, aber weder Egwene noch ihre Gefährtinnen wollten das schmutzige Bett benützen, in dem Adden geschlafen hatte. Sie holten sich ihre Ringe zurück und schliefen in ihre Umhänge und einige Decken der Aiel gehüllt unter freiem Himmel.
Als sich der Himmel im Osten rosa verfärbte, bereiteten die Aiel ein Frühstück aus zähem Trockenfleisch - Egwene zögerte, bis ihr Aviendha erklärte, daß es Ziegenfleisch sei -, Fladenbrot, beinahe genauso schwer zu kauen wie das sehnige Fleisch, und einer Art von blau geädertem Quark, der so hart war, daß Elayne grimmig kommentierte, die Aiel übten wahrscheinlich das Essen, indem sie Steine kauten. Und doch aß die Tochter-Erbin soviel wie Egwene und Nynaeve zusammen. Die Aiel ließen die Pferde laufen, nachdem sie die drei besten für Egwene und die anderen ausgewählt hatten. Aviendha erklärte ihnen, daß sie nur ritten, wenn es unbedingt notwendig sei, und es klang, als liefe sie sich lieber Blasen an die Füße, als auf ein Pferd zu klettern. Es waren alles kräftige Pferde, beinahe so groß wie Schlachtrösser, mit stolz geschwungenem Hals und wilden Augen: ein schwarzer Hengst für Nynaeve, eine braune Stute für Elayne und eine graue für Egwene.
Sie beschloß ihre Stute ›Nebel‹ zu nennen, in der Hoffnung, ein weich klingender Name würde ihr Temperament besänftigen, und tatsächlich schritt Nebel leichtfüßig nach Süden zu, als die Sonne ihren roten Rand über den Horizont schob.
Die Aiel begleiteten sie zu Fuß, alle, die den Kampf überlebt hatten. Drei weitere waren gestorben, neben den beiden, die von den Myrddraal getötet worden waren. Sie waren jetzt zusammen neunzehn. Sie liefen leichtfüßig neben den Pferden her. Zuerst wollte Egwene Nebel verhalten, damit sie besser mithalten könnten, aber die Aiel fanden das äußerst belustigend.
»Ich mache ein Wettrennen mit Euch über zehn Meilen«, sagte Aviendha, »und wir werden ja sehen, wer gewinnt, Euer Pferd oder ich.«
»Ich fordere Euch über zwanzig Meilen heraus!« rief Rhuarc lachend.
Egwene hielt ihre Angebote für ernstzunehmend, und als sie und die anderen ihre Pferde schneller dahintraben ließen, hatten die Aiel keinerlei Probleme, mitzuhalten.
Als die strohgedeckten Dächer von Jurene in Sicht kamen, sagte Rhuarc: »Lebt wohl, Aes Sedai. Möget Ihr immer Wasser und Schatten finden. Vielleicht treffen wir uns wieder, bevor die große Veränderung kommt.« Es klang ziemlich ernst. Als die Aiel nach Süden weiterliefen, hoben Aviendha und Chiad und Bain jede eine Hand zum Abschiedsgruß. Sie schienen nun, da sie nicht mehr neben den Pferden herlaufen mußten, sich keineswegs langsamer zu bewegen, eher sogar noch etwas schneller. Egwene vermutete, sie würden dieses Tempo solange beibehalten, bis sie ihr Ziel erreichten, was es auch sein mochte.
»Was hat er damit gemeint?« fragte sie. »Daß wir uns vielleicht wiedersehen, bevor die große Veränderung kommt?« Elayne schüttelte den Kopf.
»Es spielt keine Rolle, was er meinte«, sagte Nynaeve. »Ich bin froh, daß sie letzten Abend kamen, und ich bin auch froh, daß sie wieder weg sind. Ich hoffe, es ist ein Schiff da.«
Jurene selbst war ein kleiner Ort. Die Häuser waren aus Holz gebaut, und keines wies mehr als ein Stockwerk auf. Doch über allem flatterte die Flagge mit dem Weißen Löwen von Andor an einer langen Stange, und fünfzig Mann von der königlichen Garde hielten den Ort besetzt. Ihre roten Jacken mit den langen, weißen Revers leuchteten unter metallschimmernden Brustpanzern hervor. Man hatte sie an diesen Ort geschickt, sagte ihr Hauptmann, um Flüchtlingen in
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