Die Rückkehr des Drachen
sichergehen, daß sie es nicht noch einmal versuchen.«
»Verin Sedai«, begann Egwene vorsichtig. »Mat... «
»Nur einen Moment noch, Kind«, sagte die Aes Sedai und klang nur halb geistesabwesend dabei. »Ich habe ihn nicht vergessen.« Dann wandte sie sofort ihre Aufmerksamkeit wieder dem Offizier zu. »Und die Dörfer im weiteren Umkreis?«
Der Mann zuckte unangenehm berührt die Achseln. »Wir können die Weißmäntel nicht ganz davon abhalten, Aes Sedai. Sie ziehen sich zurück, wenn unsere Patrouillen kommen. Sie scheinen uns in die Irre führen zu wollen.« Verin nickte und wäre losgeritten, wenn der Offizier sie nicht noch einmal angesprochen hätte: »Verzeiht mir, Aes Sedai, aber Ihr kommt offensichtlich von weit her. Habt Ihr irgendwelche Neuigkeiten? Mit jedem Handelsschiff kommen neue Gerüchte den Fluß herauf. Sie sagen, irgendwo im Westen gebe es einen neuen falschen Drachen. Also, sie behaupten sogar, daß Artur Falkenflügels Heer, das aus den Gräbern zurückgekehrt ist, ihm folgt und daß er eine Menge Weißmäntel getötet hat. Er soll auch eine Stadt zerstört haben - Falme wird sie wohl genannt -, behaupten manche. Das ist drunten in Tarabon.«
»Sie haben auch behauptet, daß Aes Sedai ihm halfen!« rief eine Männerstimme aus der wartenden Schlange. Hurin atmete tief durch und setzte sich zurecht, als erwarte er einen Gewaltausbruch. Egwene sah sich um, konnte aber nicht entdecken, wer das gerufen hatte. Alle schienen nur auf Warten eingestellt, geduldig oder ungeduldig, und wollten möglichst bald an der Reihe sein. Die Lage hatte sich geändert, und nicht zum Besten. Bevor sie Tar Valon verlassen hatten, hätte sich jeder glücklich geschätzt, der die Aes Sedai kritisierte, wenn er lediglich mit einer blutigen Nase davongekommen wäre. Mit hochrotem Gesicht blickte der Offizier die Wartenden an.
»Gerüchte entsprechen nur selten der Wahrheit«, sagte Verin zu ihm. »Ich kann Euch mitteilen, daß Falme immer noch steht. Und es liegt noch nicht einmal in Tarabon, Wächter. Hört weniger auf Gerüchte, sondern mehr auf den Amyrlin-Sitz. Das Licht leuchte Euch.« Sie hob die Zügel und er verbeugte sich, als sie die anderen an ihm vorbeiführte.
Die Brücke versetzte Egwene in Erstaunen, wie das die Brücken von Tar Valon immer taten. Die durchbrochenen Seitenwände waren so kunstvoll gearbeitet, daß sie auch die beste Handarbeiterin an ihrem Stickrahmen beschämten. Es schien kaum möglich zu sein, Stein so fein zu bearbeiten. Und dann war es unwahrscheinlich, daß die Brücke ihrem eigenen Gewicht standhalten konnte. Der Fluß strömte kräftig und gleichmäßig fünfzig Schritt oder mehr unter ihr dahin. Es gab keinen einzigen Pfeiler auf der halben Meile zwischen Ufer und Insel.
Auf gewisse Weise noch erstaunlicher war die Tatsache, daß sie das Gefühl hatte, die Brücke führe nach Hause. Erstaunlicher und erschreckender. Emondsfeld ist mein Zuhause. Aber in Tar Valon würde sie alles lernen, was sie zum Überleben können mußte, und um ihre Freiheit zu behalten. In Tar Valon würde sie erfahren - mußte sie erfahren -, warum ihre Träume so beunruhigend waren und warum sie gelegentlich Bedeutungen enthielten, die sie nicht enträtseln konnte. Ihr Leben war nun mit Tar Valon verknüpft. Falls sie je nach Emondsfeld zurückkehrte - das ›falls‹ tat weh, doch sie war ehrlich genug sich selbst gegenüber -, würde es ein Besuch sein, um ihre Eltern wiederzusehen. Sie hatte sich bereits weit von der Tochter eines Wirts wegentwickelt. Dieses Band würde sie nicht mehr fesseln, nicht, weil sie es haßte, sondern weil sie dem Dorf entwachsen war.
Die Brücke war nur der Anfang. Sie erstreckte sich bis an die Mauer, die die Insel umspannte: eine hohe, weiß schimmernde Mauer aus silbrig geädertem Stein, deren Krone auf die Höhe der Brücke hinabblickte. In Abständen wurde die Mauer von Wachttürmen unterbrochen, die aus dem gleichen weißen Stein bestanden und an deren Fuß der Fluß schäumte. Doch die Mauer wurde noch überragt von den echten Türmen von Tar Valon, den Türmen der Legende, spitzen Säulen und Flöten und Spiralen. Einige davon waren durch luftige Brücken miteinander verbunden, gute hundert Schritt oder mehr über dem Boden. Und trotzdem war auch das nur der Anfang.
An dem bronzebeschlagenen Tor standen keine Wächter, und die Flügel standen weit offen, so daß zwanzig Mann nebeneinander hätten hindurchreiten können. Dahinter erstreckte sich eine der
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