Die Rückkehr des Drachen
waren schon immer mit Tar Valon befreundet, aber alle Dinge können sich ändern.« Verins Gesicht wirkte wieder ruhig, aber in ihrer Stimme lag eine gewisse Anspannung. Sie drehte sich im Sattel um, damit sie alle überblicken konnte: die drei jungen Frauen, Hurin und Mat auf der Trage. »Die Welt ist seltsam und alles ändert sich.« Sie überquerten einen Hügelkamm. Vor ihnen war nun ein Dorf in Sicht gekommen. Gelbe Ziegeldächer drängten sich um das Ende der großen Brücke, die nach Tar Valon führte. »Jetzt müßt ihr euch wirklich hüten«, sagte Verin. »Jetzt beginnt die eigentliche Gefahr.«
KAPITEL
11
Tar Valon
D as kleine Dorf Darein hatte sich beinahe genauso lang am Ufer des Erinin befunden wie Tar Valon auf seiner Insel. Dareins kleine, rote und braune Backsteinhäuser und Geschäfte, die gepflasterten Straßen: alles vermittelte ein Gefühl von Beständigkeit. Doch während der Trolloc-Kriege war das Dorf niedergebrannt worden; man hatte es geschleift, als das Heer Artur Falkenflügels Tar Valon belagerte; mehr als einmal während des Hundertjährigen Kriegs war es geplündert worden, und vor nicht einmal zwanzig Jahren hatte man es im Aiel-Krieg erneut niedergebrannt. Eine unruhige Geschichte für ein kleines Dorf, aber da Darein günstig am Fuß einer der großen Brücken nach Tar Valon lag, wurde es immer wieder aufgebaut, gleich, wie oft man es zerstörte. Jedenfalls, solange Tar Valon stand.
Zuerst schien es Egwene, als erwarte man in Darein wieder einen Krieg. Eine Einheit Pikeure marschierte durch die Straßen. Ihre Reihen wirkten wie eine Drahthaarbürste, so gespickt mit ihren langen Piken... Ihnen folgten Bogenschützen mit flachen, breitrandigen Helmen, an den Hüften prall gefüllte Köcher und die Bögen vor der Brust. Eine Schwadron gerüsteter Reiter mit geschlossenen Visieren machte Verin und ihrer Begleitung Platz, als ein Offizier sie mit einer im schweren Kampfhandschuh steckenden Hand beiseite winkte. Alle trugen die Weiße Flamme von Tar Valon wie eine Schneeträne auf der Brust.
Doch die Einwohner des Dorfs gingen offensichtlich unbeeindruckt ihren Geschäften nach. Die Menge auf dem Markt teilte sich so selbstverständlich vor den Soldaten, als seien die Marschierenden längst gewohnte Hindernisse. Ein paar Männer und Frauen mit obstbeladenen Verkaufsbrettern hielten mit den Soldaten Schritt und versuchten, deren Interesse an verschrumpelten Äpfeln und Pflaumen zu wecken, die den Winter durch eingekellert gewesen waren, doch von ihnen abgesehen beachteten die Hausierer und Ladenbesitzer die Soldaten gar nicht. Auch Verin schien sie zu ignorieren, während sie Egwene und die anderen durch das Dorf zu der großen Brücke hin führte, die sich wie eine aus Stein geklöppelte Spitzenborte über eine halbe Meile Wasser spannte.
Am Fuß der Brücke standen weitere Soldaten Wache: ein Dutzend Pikeure und halb so viele Bogenschützen, die jeden überprüften, der die Brücke überqueren wollte. Der Offizier, ein Mann mit lichtem Haar, der den Helm über den Griff seines Schwerts gehängt hatte, schien verärgert angesichts der langen Schlange wartender Fußgänger und Reiter, Pferdewagen, Ochsengespanne und Karren, die von ihren Eigentümern selbst gezogen wurden. Die Schlange war nur etwa hundert Schritt lang, doch jedesmal, wenn jemand auf die Brücke gelassen wurde, kam hinten jemand Neues dazu. Trotzdem nahm sich der alternde Offizier jedesmal Zeit, um sicherzugehen, daß jeder auch das Recht hatte, Tar Valon zu betreten. Erst dann ließ er den Wartenden gehen.
Er öffnete den Mund und wollte schon wütend werden, als Verin ihre Begleiter gleich ganz nach vorn führte, doch dann sah er ihr Gesicht und setzte sich eilig den Helm wieder auf. Keiner, der sie wirklich kannte, mußte erst den Schlangenring sehen, um eine Aes Sedai zu erkennen. »Guten Morgen, Aes Sedai«, sagte er mit einer Verbeugung, wobei er eine Hand auf sein Herz legte. »Guten Morgen. Reitet nur hinüber, wie es Euch gefällt.«
Verin hielt ihr Pferd neben ihm an. In der wartenden Schlange wurde Murren laut, doch keiner wagte, sich zu beschweren. »Probleme mit den Weißmänteln, Wächter?«
Warum halten wir an? fragte sich Egwene voller Unruhe. Hat sie Mat vergessen?
»Eigentlich nicht, Aes Sedai«, sagte der Offizier. »Keine Kampfhandlungen. Sie versuchten, nach Markt Eldone vorzudringen, auf der anderen Seite des Flusses, aber wir haben es ihnen verdorben. Die Amyrlin will jedoch
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