Die Rückkehr des friedvollen Kriegers
verraten, wo sie ist«, versprach ich und steckte die Statue in meine Shorts.
Der Weg zurück durch den Tunnel war nicht mehr ganz so schwierig zu bewältigen wie der Hinweg, denn jetzt wußte ich ja, wie lang er war, und konnte mich vorher richtig entspannen und genug Sauerstoff tanken.
Als wir wieder an Land kamen, wurde es schon dunkel. Kimo bestand darauf, daß ich bei ihm übernachtete. So lernte ich seine drei Schwestern und vier Brüder kennen. Zwei seiner Brüder waren vorhin auf der Straße auch schon dabeigewesen. Sie nickten mir alle zu, manche neugierig, manche achtlos, während sie rasch durch das Zimmer gingen, in dem wir saßen und uns unterhielten. Kimo bot mir ein Bier an, das ich in kleinen Schlucken trank, und einen stinkenden Tabak, den er als »Maui-Gehirnumnebler« bezeichnete und den ich dankend ablehnte.
Wir redeten bis spät in die Nacht hinein, und ich begann die Seele eines Menschenwesens zu begreifen, das ganz anders war als ich – und doch im Grunde genauso.
Ehe Kimo sich auf sein ungemachtes Bett sinken ließ und ich mich auf ein paar Decken auf dem Fußboden ausstreckte, vertraute er mir noch etwas an. Er erzählte, daß er sein Leben lang immer das Gefühl gehabt hatte, anders zu sein als die anderen, »als ob ich aus ’nem andern Land wär oder so was«, setzte er hinzu. »Und irgendwie hab ich das Gefühl, daß ich was ganz Bestimmtes mit mei’m Leben machen soll – ich weiß bloß nich’ was …«, sagte er und verstummte.
»Vielleicht erst mal die High School abschließen«, schlug ich vor. »Oder über die sieben Meere segeln.«
»ja«, sagte er und schloß die Augen. »Über die sieben Meere segeln.«
Während ich langsam in den Schlaf hinüberdämmerte, ließ ich diesen unglaublichen Tag in Gedanken noch einmal an mir vorüberziehen: Wie meine Reise auf dem Gipfel eines Berges begonnen und gemeinsam mit Kimo in der Höhle unter Wasser geendet hatte. Und wie ich diese von Entenmuscheln überwachsene Statue gefunden hatte, die jetzt sicher verstaut in meinem Rucksack lag. Ich mußte sie mir bei nächster Gelegenheit genauer ansehen.
Am nächsten Morgen verabschiedete ich mich von Kimo und machte mich allein auf den Weg. Ich wollte zurück durch die Regenwälder Molokais ins Pelekunu Valley. Allmählich hatte ich das Gefühl, daß der Schatz, von dem Mama Chia gesprochen hatte, aus lauter kleinen Teilen bestand, die erst alle zusammen einen Sinn ergeben würden. Und wenn ich wachsam und für alles aufgeschlossen blieb und mich immer dorthin wandte, wohin mein Herz mich führte, würde ich den Rest des Schatzes sicherlich finden – ganz egal, worin er bestand.
Während ich in den Wald hineinwanderte, dachte ich über Kimo und all die anderen Menschen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen nach, die ich in den letzten Wochen kennengelernt hatte.
Ich erinnerte mich an die Vision, die ich damals in den Flammen gesehen hatte, und fragte mich, welchen Sinn und welches Ziel ihr Leben wohl hatte und welchen Platz wir alle in den größeren Zusammenhängen einnahmen. Eines Tages würde ich herausfinden, wie man anderen helfen konnte, das alles zu verstehen und den Sinn ihrer Existenz zu entdecken. Das war alles, was ich im Augenblick wußte.
Nach Einbruch der Dunkelheit geriet ich in einen Teil des Regenwaldes, den ich nicht kannte. Ich fand mich nicht mehr zurecht und wurde plötzlich sehr müde. Da ich nicht im Kreis herumirren wollte, beschloß ich, mich hier schlafen zu legen und erst im Morgengrauen weiterzuwandern. Ich legte mich hin und schlief rasch ein, allerdings mit einem vagen Gefühl des Unbehagens, so als stimmte etwas nicht mit diesem Ort – aber es war nur eine ganz leise innere Stimme. Wahrscheinlich lag es daran, daß ich so übermüdet war.
In dieser Nacht hatte ich einen merkwürdigen, verworrenen, aber sehr eindrucksvollen sexuellen Traum: Ein Succubus – eine dämonische Verführerin, bedrohlich und doch von einer ungeheuren erotischen Ausstrahlung – kam zu mir, um mich … zu Tode zu lieben. Sie trug ein dünnes blaues Kleid, unter dem ihre cremefarbene Haut durchschimmerte.
Ich erwachte halb, bis ich wieder wußte, wo ich war. Ein eiskalter Schrecken packte mich, als ich immer noch die Gegenwart der Dämonin spürte und tatsächlich eine Frauengestalt in blauem, durchsichtigen Gewand sah, die durch die Bäume auf mich zuschwebte. Rasch schaute ich mich um und merkte, daß ich mich auf einen Friedhof verirrt hatte,
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