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Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Titel: Die Rückkehr des friedvollen Kriegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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zwanzig. Inzwischen war ich schweißgebadet. Je tiefer ich grub und je mehr meine Grube einem Grab ähnelte, um so weniger gefiel sie mir. Und ich war von Anfang an schon nicht sonderlich begeistert gewesen von dieser Idee!
    Meine Angst steigerte sich immer mehr und ging allmählich in Wut über. »Nein«, sagte ich und kletterte aus dem Grab. »Niemand kann mich zwingen, das zu tun. Ich habe keine Lust zu mysteriösen Spielen auf Friedhöfen, ohne zu wissen, was das alles für einen Sinn haben soll. Ich bin keine Marionette! Für wen ist dieses Grab? Wozu buddle ich eigentlich hier herum?« erkundigte ich mich in energischem Ton.
    Mama Chia blickte mich lange unverwandt an – es kam mir vor wie eine Minute. »Komm her«, sagte sie dann. Sie führte mich zu einem Grabstein in der Nähe und zeigte auf die Inschrift. Ich entzifferte sie mit zusammengekniffenen Augen.
    Die Schrift war schon alt und verblichen, aber ich konnte sie gerade noch erkennen:
    Bedenke, Freund, wenn du dies liest,
Auch ich war einst munter, wie du jetzt bist.
Irgendwann kommt auch deine Zeit –
Mir zu folgen mach dich bereit!
    Ich blickte sie an. Ihr Gesicht war todernst. »Ich glaube, jetzt weißt du, für wen dieses Grab ist«, erklärte sie.

    Ich sah ihr ins Gesicht. »Es ist meine Entscheidung, ob ich das tun will oder nicht«, sagte ich.
    »Aber ja. Es ist immer deine Entscheidung«, stimmte sie zu. »Du hast die Wahl – du kannst weitergraben oder mit dem nächsten Surfbrett wieder von hier verschwinden.«
    Ich glaubte nicht, daß sie das wirklich so meinte – das mit dem Surfbrett –, aber eines war klar: Wenn ich weiterhin ihr Schüler bleiben wollte, dann mußte ich das hier durchstehen. Nun war ich schon so weit gekommen – jetzt wollte ich auch sehen, wo das alles hinführte. Ich brachte ein müdes Lächeln zustande und seufzte: »Also gut … Weil du es so hübsch ausgedrückt hast.« Ich kletterte wieder ins Grab hinunter und grub weiter, bis sie sagte: »Jetzt ist es tief genug. Gib mir die Schaufel und komm heraus.«
    »Soll das heißen, ich bin fertig?«
    »Ja.«
    »Brrr … Ich muß zugeben, du hast mir vorhin einen ganz schönen Schrecken eingejagt«, meinte ich, kletterte aus dem feuchten Grab und legte die Schaufel daneben auf den Boden. »Aber alles in allem war es gar nicht so schlimm.« Ich räkelte meine müden Glieder.
    »Leg dich hierhin«, forderte sie mich auf und wies auf ein Laken, das sie neben dem offenen Grab auf dem Boden ausgebreitet hatte.
    »Was – schon wieder eine Massage? Ist das nicht ein bißchen zuviel des Guten?« fragte ich.
    Mama Chia lächelte nicht, sondern zeigte nur auf das Laken. Ich legte mich auf den Bauch.
    »Auf den Rücken«, befahl sie.
    Ich drehte mich um und starrte zu ihr empor. »Soll ich jetzt Leichnam spielen, oder was?«
    Sie warf mir einen wütenden Blick zu. »Tut mir leid«, entschuldigte ich mich. »Wahrscheinlich bin ich ein bißchen nervös.«
    »Das ist kein Spiel. Wenn du die Geister hier beleidigst, wirst du gleich viel mehr Grund haben, nervös zu sein!«
    Ich versuchte mich zu entspannen und sagte: »Na ja … ich glaube, ich kann jetzt wirklich eine kleine Verschnaufpause gebrauchen.«

    »Eine lange Verschnaufpause«, erwiderte Mama Chia, nahm die Schaufel und holte damit in meine Richtung aus. Ich hob schützend die Arme. Einen Moment lang dachte ich, sie wollte mich erschlagen. Aber sie hieb die Schaufel nur fest in die Erde. Dann kniete sie neben meinem Kopf am Rande des Grabes nieder und schloß die Augen.
    Ich starrte in ihr Gesicht, das aus meiner Perspektive auf dem Kopf stand und im Mondlicht sehr blaß wirkte. Ein paar schreckliche Sekunden lang fühlte ich mich dem Wahnsinn nahe: Ich hatte das Gefühl, diese Frau gar nicht zu kennen. Vielleicht war sie gar nicht diejenige, zu der Socrates mich geschickt hatte, vielleicht war sie meine Feindin.
    Mit lauter Stimme, die über den ganzen Friedhof hallte, begann sie eine Beschwörungsformel zu sprechen. Jetzt wußte ich, daß das hier ganz offensichtlich kein Spiel war.
    »Großer Geist, der du viele Namen trägst«, rief sie in singendem Tonfall, »wir bitten dich, ins Licht eingelassen zu werden. Wir bitten dich um Schutz für diese Seele. Im Namen des Einen und kraft Seiner Autorität bitten wir, alles Böse von diesem Menschen fortzunehmen, es in seinem eigenen Licht zu verschließen und an seine Quelle zurückzuschicken. Was auch geschehen möge, soll zu seinem höchsten Wohl sein. Dein

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