Die Rückkehr des friedvollen Kriegers
sich vor die Mittagssonne. Mama Chia hatte mit ihren Offenbarungen eine Saite tief in meinem Inneren berührt. Schweigend gingen wir weiter, bis neue Fragen in mir aufstiegen.
»Mama Chia, ich bin schon einigen Menschen begegnet, die außergewöhnliche Kräfte oder Fähigkeiten besitzen. Heißt das, daß sie in den höheren Stockwerken angekommen sind?«
»Manche Menschen erlangen solche Fähigkeiten durch ihre Arbeit in früheren Inkarnationen. Doch meistens – solange sie nicht
alle Trümmer in den unteren Stockwerken beiseite geräumt haben – dürfen sie nur vorübergehend in die oberen Stockwerke hinauf, um mit diesen Energiepunkten in Verbindung zu treten und durch die Fenster zu schauen.«
»Und was ist mit spirituellen Meistern?«
»Das Bewußtsein eines wahren Meisters ist schon von Geburt an vorhanden, aber es kann lange verborgen bleiben – selbst in Zeiten der Verwirrung und des inneren Aufruhrs. Und dann beginnt es durch die Einwirkung irgendeines Erlebnisses oder eines Lehrers plötzlich aufzublühen. Große Meister haben Zugang zu den höheren Stockwerken. Sie manifestieren große Liebe, Energie, Klarheit, Weisheit und Ausstrahlung, Mitgefühl, Sensibilität und Macht. Aber wenn sie nicht auch die Aufgaben der unteren Stockwerke gemeistert haben, brennen sie letzten Endes entweder mit dem Geld ihrer Anhänger durch oder gehen mit ihren Schülern ins Bett.«
»Ich würde diese oberen Stockwerke gern einmal kennenlernen.«
»Die Menschheit kennt schon seit Jahrhunderten eine ganze Anzahl geheimer Techniken und Substanzen, mit deren Hilfe man einen Blick in die oberen Stockwerke werfen kann. Man sollte solche Praktiken aber lieber als etwas Heiliges betrachten und nicht als bloße Freizeitbeschäftigung. Sie können einem einen guten Vorausblick auf zukünftige Erlebnisse geben.
Viele wohlmeinende, einsame, gelangweilte oder verzweifelte Menschen verschaffen sich mit Hilfe solcher Methoden spirituelle Erlebnisse«, fuhr Mama Chia fort. »Aber was dann? Was haben sie davon? Nach einer Zeit kehren sie wieder in ihren normalen Zustand zurück und sind deprimierter als je zuvor.
Der Geist ist immer hier – immer bei uns, um uns herum und in uns drinnen. Aber zu dieser Erkenntnis gelangt man nicht im Schnellverfahren. Durch mystische Praktiken kann man zwar sein Bewußtsein erweitern, aber wenn diese Erfahrungen nicht in einem verantwortungsbewußten Leben in dieser Dimension verankert sind, führen sie zu nichts«, sagte Mama Chia und folgte einer Biegung des Weges.
»Menschen, die der Welt mit Hilfe spiritueller Erlebnisse entfliehen wollen, sind auf dem Holzweg. Durch ihre Suche nach spirituellen Erfahrungen wird das Dilemma, das sie zu dieser Suche getrieben hat, nur noch auswegloser.
Der Wunsch, sich über die Langeweile, Fleischlichkeit und Vergänglichkeit dieser Welt zu erheben, ist völlig natürlich. Aber Leute, die sich ständig mit sich selbst beschäftigen und sich mit Hilfe sogenannter spiritueller Praktiken von den Problemen des täglichen Lebens ablenken wollen, steigen eine Leiter hoch, nur um am Ende festzustellen, daß sie an der falschen Mauer lehnt.
Du begegnest dem Höheren Selbst nicht, indem du dir farbiges Licht vorstellst oder andere schöne Dinge visualisierst, sondern indem du seinen Willen akzeptierst – indem du zum Höheren Selbst wirst. Diese Entwicklung läßt sich nicht erzwingen. Sie verläuft nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten.
Der Trainingsplatz des friedvollen Kriegers ist das tägliche Leben«, fuhr sie fort. »Der Geist gibt dir alles, was du brauchst – hier und jetzt. Du entwickelst dich nicht weiter, indem du nach anderen Orten und Erfahrungen strebst, sondern indem du dich auf das konzentrierst und das akzeptierst, was jetzt im Augenblick vor dir liegt. Erst dann kannst du den nächsten Schritt tun – egal, in welchem Stockwerk du gerade arbeitest.
Und dann«, sagte sie, blieb stehen und sah mich an, »wenn du Ordnung in die unteren Stockwerke gebracht hast, geschieht etwas ganz Subtiles und doch ungeheuer Faszinierendes: Deine Motive verändern sich grundlegend. Du suchst kein Glück mehr, sondern willst Glück schaffen.
Und das ist letzten Endes nichts anderes als Dienst. Jesus Christus hat einmal gesagt: ›Der Größte unter euch soll allen anderen dienen.‹ Das, Dan, ist der Weg zum Herzen, die Besteigung deines inneren Berges. Und eines kann ich dir versichern: Eines Tages wirst du anderen nicht mehr aus Eigennutz oder
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