Die Rückkehr des friedvollen Kriegers
Verständnis: »Dan, für dich und viele andere Menschen ist das dritte Stockwerk ein Schlachtfeld. Dort wirst du mit lauter Problemen konfrontiert, die deine Selbstdisziplin, dein Engagement, deine Willenskraft und deine Selbstbeherrschung betreffen, und dein Basis-Selbst lernt seine letzten Lektionen.
Solange wir diese Probleme nicht gelöst und die Herrschaft über uns selbst nicht erlangt haben, ist unser Leben ein ständiger Kampf. Wir müssen einen Abgrund überbrücken zwischen dem Wissen, was wir tun sollen, und dem tatsächlichen Tun. Der Krieger hat sein Basis-Selbst beherrschen gelernt.
Mit deinem Sprung über den Abgrund hast du gezeigt, daß du einen starken Willen hast; sonst wärst du in die Tiefe gestürzt.«
»Und was wäre dann passiert?«
»Dann hättest du mühsam wieder hochklettern müssen!« erwiderte Mama Chia lachend.
»War Sachi eigentlich wirklich da drüben?«
»In deiner Vorstellung war sie wirklich dort«, antwortete Mama Chia und setzte hinzu: »Vielleicht steht sie symbolisch für deine Tochter, die du da drüben in Ohio sitzengelassen hast.«
Ihre Worte gaben mir einen Stich. Ich empfand Reue, ein großes Gefühl der Verantwortung und Liebe, als ich Hollys Gesichtchen vor mir sah. »Ich sollte heimreisen, um sie zu besuchen.«
»Ja, natürlich«, stimmte Mama Chia zu. »Aber willst du ihr einen ganzen Vater mitbringen – oder jemanden, der noch viel Unerledigtes mit sich herumschleppt?«
Wieder hallten Socs Worte in mir nach: »Was du angefangen hast, das führe lieber auch zu Ende.«
»Hast du deine Aufgaben hier schon zu Ende geführt?« fragte Mama Chia, als könnte sie meine Gedanken lesen.
»Ich weiß es nicht. Ich verstehe immer noch nicht, was dort unter dem Wasserfall mit mir passiert ist …«
Sie schnitt mir das Wort ab. »Du bist über den Abgrund gesprungen. Das war eine enorme Leistung. Aber dich erwartet noch ein viel größerer Sprung.«
»Zum vierten Stock?«
»Ja – ins Herz hinein.«
»Ins Herz hinein«, wiederholte ich. »Klingt ein bißchen sentimental.«
»Mit Sentimentalität hat das nichts zu tun«, widersprach sie. »Es ist eine Sache der Physik – der Meta physik. Und du kannst diesen Sprung schaffen, Dan. Aber du brauchst dazu großen Mut und viel Liebe. Bei den meisten Menschen schlummern diese Eigenschaften ein Leben lang im verborgenen oder entwickeln sich nur teilweise. Bei dir sind sie gerade im Begriff, zum Leben zu erwachen. Es beginnt mit einer Sehnsucht, wie du sie mir beschrieben hast.« Mama Chia hielt inne, dann offenbarte sie mir: »Ich kenne dich besser als du dich selbst, Dan. All deine Abenteuer sind nichts anderes als die Suche des Geistes nach sich selbst. Dein Höheres Selbst wartet voller Liebe auf dich. Die Begegnung steht schon ganz nahe bevor. Ich hoffe nur, daß ich sie noch erlebe …« Sie brach mitten im Satz ab.
»Was soll das heißen: Du hoffst, daß du sie noch erlebst?« fragte ich. »Werde ich so lange dazu brauchen – oder gibt es da noch etwas, was ich nicht weiß?«
Mama Chia blieb einen Augenblick stehen und sah aus, als wollte sie meine Frage beantworten. Doch dann setzte sie sich hinkend wieder in Bewegung und nahm den vorherigen Gesprächsfaden wieder auf. »Du wirst deinem Höheren Selbst begegnen, sobald dein Bewußtsein sich aus dem Meer der persönlichen Sorgen und Belange erhebt und ins Herz senkt. Du brauchst es nicht in den Bergen von Tibet zu suchen, das Himmelreich liegt in dir . In dir und über dir – in deinem Herzen und darüber – ist alles, was du brauchst.«
»Und was ist mit den oberen Stockwerken?«
»Ich habe dir doch schon einmal gesagt: einen Schritt nach dem anderen! Zuerst mußt du zum Herzen finden; dann entdeckst du die höheren Stockwerke ganz von allein. Aber du wirst dann viel zu sehr mit der Liebe und dem Dienst beschäftigt sein, um dir große Gedanken darüber zu machen.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Zeug dazu habe, den ›Heiligen Dan‹ zu spielen«, wandte ich grinsend ein. »Dazu esse ich viel zu gerne Kuchen.«
»Keine Sorge«, entgegnete Mama Chia und lächelte. »Wenn du den Sprung ins Herz hinein wagst, dann wirst du Kuchen wirklich und wahrhaftig lieben . Das tue ich auch!« Sie lachte. Dann verstummte sie für eine Weile, als wollte sie mir Gelegenheit geben, ihre Worte erst einmal zu verdauen, so wie ein Gärtner das Wasser tief in den Boden hineinsickern läßt, bis zu den Wurzeln.
Ich blickte auf und sah mich um. Wolken schoben
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