Die Rückkehr des friedvollen Kriegers
Schuldgefühlen oder sozialem Verantwortungsbewußtsein dienen, sondern weil es nichts gibt, was du lieber tätest. Es wird dir so einfach und angenehm vorkommen wie ein wundervoller Film im Kino, der dich so glücklich
macht, daß du dein Erlebnis mit anderen Menschen teilen möchtest.«
»Ich weiß nicht, ob ich den Dienst an anderen zum Mittelpunkt meines Lebens machen könnte. Das klingt für mich immer noch so, als wäre es eine Last.«
»Natürlich klingt es so«, erwiderte sie, »weil du es noch von der Warte des dritten Stockwerks aus betrachtest. Aber aus dem Fenster des vierten Stocks, mit den Augen des Herzens gesehen, stehen Bequemlichkeit, persönlicher Komfort und Zufriedenheit nicht mehr im Mittelpunkt deines Lebens. Dann wirst du dich jeden Abend darauf freuen, am nächsten Morgen wieder aufzustehen, nur um einer anderen Seele, einem anderen Teil deines Selbst beistehen zu können.«
Mama Chia verstummte, denn ein heftiger Regenschauer hatte eingesetzt und machte unseren Pfad tückisch. Dazu mußten wir noch über verschlungene Baumwurzeln steigen. Es war schwierig, zu gehen und gleichzeitig zu sprechen. Ich konzentrierte mich auf meine schlammverkrusteten Turnschuhe, die dem nassen Boden im Rhythmus meiner Schritte ein leises Quietschen entlockten, und dachte über Mama Chias Worte nach. Mühsam kämpften wir uns durch den Matsch und den Regen, der den Wald durchtränkte und an den Seiten dieses schmalen, rutschigen Pfades einige kleine, aber malerische Wasserfälle bildete.
Später, als der Weg breiter wurde, drehte Mama Chia sich nach mir um, sah meinen bekümmerten Gesichtsausdruck und sagte: »Sei nicht zu streng mit dir, Dan. Akzeptiere, wo du jetzt stehst. Vertraue auf dein Höheres Selbst. Es ruft schon seit deiner Kindheit nach dir. Es hat dich zu Socrates und zu mir geführt. Akzeptiere dich selbst und diene ganz einfach. Diene so lange aus Pflichtgefühl, bis du aus Liebe dienen kannst – und nimm die Resultate nicht für dich in Anspruch.
Und wenn du so weit bist, daß du gern hundert Leben – oder die ganze Ewigkeit – damit zubringen würdest, anderen zu dienen, dann brauchst du keinem bestimmten Weg mehr zu folgen. Dann bist du selbst der Weg geworden. Durch Dienst entwickelst du – das Bewußte
Selbst – dich zu einem Höheren Selbst, obwohl du noch in einem menschlichen Körper wohnst.«
»Und woran soll ich erkennen, wenn es passiert?« fragte ich.
»Du wirst es nicht erkennen. Deine Freude wird so groß sein, daß du es gar nicht bewußt registrierst!« antwortete sie mit strahlendem Gesicht. »So wie das Ego sich in den Armen Gottes auflöst, so geht dein Verstand im Willen Gottes auf. Dann versuchst du nicht mehr, dein Leben zu steuern und in bestimmte Bahnen zu lenken – du hörst auf zu leben und fängst an, gelebt zu werden. Du gehst in einem umfassenderen Sinn, in den ›größeren Zusammenhängen‹, auf. Du wirst der Weg , indem du aus dem Weg gehst!«
»Ich weiß nicht recht«, seufzte ich. »Das klingt, als sei es unmöglich.«
»Wann hätte dich das je abgeschreckt?« fragte Mama Chia.
»Du hast gewonnen«, lächelte ich.
»Wenn jemand Joseph de Veuster als kleinem Jungen gesagt hätte, daß er als Erwachsener die Leprakranken auf der Insel Molokai pflegen würde«, setzte sie hinzu, »hätte er das vielleicht auch für unmöglich gehalten. Und doch wurde Joseph später Pater Damien, und als die Leprakranken hier ausgesetzt wurden, um elend dahinzusiechen und zu sterben, hatte er seine Berufung gefunden und diente ihnen bis an sein Lebensende. Und denk nur an Mutter Teresa und Mahatma Gandhi und …«
»Und dich«, warf ich ein.
Wir stiegen den Regenwald hinab in die Richtung meiner Hütte, wo ich mich endlich würde ausruhen können. Ich hatte es bitter nötig. Die Steine und Baumwurzeln gingen in Gras, Laub und feuchte rote Erde über. Wir waren beide erschöpft und wanderten schweigend nebeneinander her. Ich konzentrierte mich darauf, langsam und tief zu atmen, preßte die Zunge an den Gaumen und überließ es meinem Basis-Selbst, die Energien, die mich durchströmten, in meinem Körper zu verteilen und ins Gleichgewicht zu bringen. Ich atmete nicht nur Luft ein, sondern auch Licht und Energie und Geist.
Der Gesang der Vögel kam wieder in mein Gewahrsein. Das allgegenwärtige Rieseln und Rauschen der Bäche und Wasserfälle, die
durch die Regenschauer entstanden waren, lenkte meine Aufmerksamkeit erneut auf die geheimnisvolle Schönheit
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