Die Rückkehr des friedvollen Kriegers
Menschen einfach nur aus Freude zu dienen, ohne an mich selbst zu denken. Dann kam mir ein anderer Gedanke. War es möglich, daß Socrates mich nicht nur zu Mama Chia geschickt hatte, damit sie mir half, sondern auch, damit ich ihr half?
Als ich meine Hütte erreichte, waren mir zwei Dinge klar: Erstens, daß Socrates mich tatsächlich hierhergeschickt hatte, um das Dienen zu lernen; und zweitens, daß ich viel zu vergelten hatte.
Am nächsten Morgen hörte ich schon in aller Herrgottsfrühe einen Vogel direkt neben meinem Ohr zwitschern und spürte ein federleichtes Gewicht auf meiner Brust. Vorsichtig schlug ich die Augen auf und sah Redbird, Mama Chias Freund, den Apapane. »Hallo, Redbird«, sagte ich leise, ohne mich zu rühren. Der Vogel legte nur den Kopf schief, zwitscherte wieder und flog aus dem Fenster.
Dann trat Mama Chia ein. »Morgenstund hat Gold im Mund. Mein kleiner Vogel ist früher aufgestanden als ich!« sagte sie und wies auf einen Baum vor dem Fenster, wo der Vogel saß und sang.
»Ich bin soweit«, sagte ich, band mir die Schuhe zu und erinnerte mich noch einmal daran, daß ich mir geschworen hatte, in ihrer Gegenwart nicht schwarzseherisch und sentimental zu werden. »Was machen wir als erstes?«
»Erst einmal wird gefrühstückt.« Sie gab mir ein Stück frisches Brot, das noch warm war.
»Danke!« sagte ich, setzte mich aufs Bett und mampfte vor mich hin. »Was ich dich schon lange einmal fragen wollte, Mama Chia … Gehört dir diese Hütte?«
»Ich habe sie geschenkt bekommen. Sachis Vater hat sie vor ein paar Jahren gebaut.«
»Ein nettes Geschenk«, sagte ich mit vollem Mund.
»Er ist auch ein sehr netter Mensch.«
»Wann werde ich ihn endlich kennenlernen?«
»Er ist nicht da – er hat woanders einen Auftrag an einer Baustelle bekommen. Auf Molokai wird zur Zeit nicht viel gebaut. Aber vielleicht ergibt sich trotzdem einmal die Gelegenheit …« Sie zuckte die Achseln.
»Was ist eigentlich aus Sachi geworden?«
»Oh, sie müßte eigentlich jeden Augenblick hier sein. Ich habe ihr gesagt, daß sie mitkommen darf.«
»Das freut mich. Ich habe wirklich eine Schwäche für diese junge Dame.« Während ich noch sprach, kam Sachi herein. Sie errötete bei meinen Worten.
Mama Chia nahm jetzt ihren Rucksack und machte mir klar, daß ich den anderen tragen sollte. Ich bückte mich danach. »Gott, ist der schwer«, sagte ich. »Da sind wohl lauter Steine drin?«
»Du hast es erraten!« sagte sie. »Ich wollte Fuji und Mitsu ein paar besonders schöne Steine für ihren Steingarten bringen. Und dir tut die körperliche Betätigung nur gut.«
»Wenn es dir zu schwer wird, kann ich ihn ja tragen«, erbot Sachi sich mit einem Lächeln und zeigte ihre Grübchen.
»Wenn es mir zu schwer wird, kannst du mich tragen«, grinste ich zurück und fragte, zu Mama Chia gewandt: »Ist Fuji nicht der Fotograf, von dem du mir erzählt hast? Dessen Frau gerade ein Baby bekommen hat?«
»Ja. Jetzt arbeitet er als Landschaftsgärtner auf der Molokai Ranch. Er ist sehr geschickt.«
Fuji und Mitsu begrüßten uns sehr herzlich und zeigten uns ihren neugeborenen Sohn Toby, der unbeeindruckt von dem Besuch dalag und fest schlief. »Er ist erst vor ein paar Wochen gekommen; Mama Chia hat dabei geholfen«, erklärte Fuji.
»Da geht es ihm wie mir. Ich hoffe nur, seine Anreise war weniger beschwerlich als meine«, sagte ich, grinste Mama Chia an und ließ den mit Steinen gefüllten Rucksack von meinen Schultern gleiten und mit einem dumpfen Schlag auf den Boden fallen.
»Steine für deinen Garten«, sagte Mama Chia zu Fuji, während ich erleichtert meine Arme und Schultern streckte. Dann setzte sie hinzu, um mich ein bißchen zu ärgern: »Wenn sie nicht ganz deinen Vorstellungen entsprechen, nehmen wir sie natürlich gern wieder mit.«
Ein Blick auf mein Gesicht, und alle fingen an zu lachen.
Fujis und Mitsus Hütte war voller Antiquitäten und Souvenirs, die sie fein säuberlich auf Regalen aufgereiht hatten. Mir fielen auch einige schöne Fotos auf, die die Meeresbrandung, Bäume und Himmel zeigten – wahrscheinlich hatte Fuji sie gemacht. Das Haus war von Bäumen umgeben, und Hängepflanzen zierten die Wände – es war ein schönes Haus, ein Haus, in dem das Glück wohnte. Wir hörten das Baby schreien. Es war aufgewacht und hatte Hunger.
Während Mama Chia sich um Mitsu und ihren kleinen Sohn kümmerte, erbot Fuji sich, uns durch den Garten zu führen. »Mitsu und Fuji haben
Weitere Kostenlose Bücher