Die Rückkehr des friedvollen Kriegers
nicht, er könnte tödlich sein?«
Mama Chia zögerte; dann sagte sie: »Ich habe das Gefühl, daß ich bald sterben werde. Ich spüre das. Ich weiß nur nicht genau, wann.«
»Kann ich irgend etwas für dich tun?« fragte ich schließlich.
»Ich werde es dich wissen lassen«, sagte sie mit einem tröstenden Lächeln.
»Aber bei allem, was du weißt – deiner engen Beziehung zum Basis-Selbst –, kannst du dich da nicht selbst heilen?«
»Diese Frage habe ich mir auch schon oft gestellt, Dan. Ich tue, was ich kann. Alles andere liegt in der Hand des Geistes. Es gibt Dinge, die man akzeptieren muß. Selbst mit dem positivsten Denken kann man ein fehlendes Bein nicht zum Nachwachsen bringen. Mit meinem Problem ist es so ähnlich.«
»Das erinnert mich an meinen Freund, von dem ich dir erzählt habe – der Mann, der gestorben ist«, sinnierte ich. »Als er erfuhr, daß er krank war, empfand er, was wohl alle Menschen in dieser Situation fühlen – den Schock, das Nicht-glauben-Wollen, den Zorn auf sein Schicksal und schließlich die Annahme. Ich glaube, er hätte die Möglichkeit gehabt, seine Krankheit entweder zu besiegen – all seine Zeit, Energie und Willenskraft auf den Heilungsprozeß zu konzentrieren – oder wirklich ganz tief innerlich zu akzeptieren, daß er sterben mußte. Dann hätte er sich in sein Schicksal ergeben, seinen
Frieden mit der Welt schließen, seine Angelegenheiten ordnen und diese ganze Erfahrung irgendwie so verarbeiten müssen, daß sie ihm bei seiner weiteren Entscheidung geholfen hätte. Aber das hat er nicht getan«, sagte ich traurig. »Er tat das, was wahrscheinlich die meisten Menschen in dieser Lage tun. Er war wankelmütig, gab sich mit halbherzigen Bemühungen zufrieden und schaffte es bis zum Schluß nicht, den Tod wirklich zu bekämpfen oder aber ihn zu akzeptieren. Ich war … enttäuscht von ihm.« Das war das erste Mal, daß ich diese Empfindungen jemandem anvertraute.
Mama Chias Augen strahlten. »Socrates wäre stolz auf dich, wenn er das hören würde, Dan. Das war eine sehr kluge Erkenntnis! Ich habe schon erlebt, daß Menschen sich völlig dem Tod ergaben, und durch diese Ergebung wurden sie geheilt.
Was mich betrifft, so kämpfe ich um mein Leben und akzeptiere gleichzeitig den Tod. Und ich werde leben, wirklich intensiv leben, bis ich sterbe – egal, ob es heute, morgen oder nächstes Jahr passiert. Das ist das einzige, was man tun kann.«
Sie sah mich an. Ich glaube, sie spürte, wie bedrückt ich war und wie gern ich ihr geholfen hätte. »In diesem Leben gibt es keine Sicherheiten«, sagte sie. »Wir alle leben so, wie wir es eben am besten wissen. Ich höre auf die Botschaften meines Basis-Selbst und vertraue ihnen. Aber manchmal – trotz allem …« Sie brach ab und zuckte die Achseln.
»Und wie wirst du damit fertig – mit dem Wissen, daß du jederzeit …«
»Ich habe keine Angst vor dem Tod; dazu begreife ich ihn viel zu gut. Aber ich liebe das Leben! Und je mehr ich lache und mich freue, um so mehr Energie gibt mir mein Basis-Selbst, um weiterzuleben.« Sie drückte mir die Hände. »An dir habe ich in den letzten Tagen auch meine Freude gehabt. Wir haben viel miteinander gelacht!« sagte sie. Meine Augen begannen zu brennen. Eine Träne lief mir die Wange hinunter, und wir umarmten uns.
»Komm«, erbot sie sich, »ich begleite dich nach Hause.«
»Nein!« wehrte ich ängstlich ab. »Ich meine – ich finde den Weg schon allein. Ruh dich lieber aus.«
»Das klingt wirklich verlockend«, stimmte sie zu, streckte sich auf der Couch aus und gähnte.
Als ich mich zum Gehen wandte, rief sie mich noch einmal zurück und sagte: »Jetzt, wo du es angeboten hast, fällt mir etwas ein – du kannst tatsächlich noch etwas für mich tun.«
»Was denn?«
»Es gibt noch ein paar Gänge, die ich erledigen muß – Leute, die ich besuchen sollte. Du kannst mir dabei helfen, wenn du willst – meinen zweiten Rucksack tragen, und andere Sachen. Hast du morgen etwas vor?«
»Ich muß mal in meinem Terminkalender nachsehen«, scherzte ich, glücklich über die Einladung.
»Also gut!« antwortete sie. »Dann also bis morgen. Und bitte, Dan, mach dir meinetwegen keine Sorgen.« Sie winkte mir zu und wandte sich ab. Langsam ging ich die Treppe hinunter und suchte den Weg zurück zu meiner Hütte. Als ich durch den Wald wanderte, fragte ich mich, ob ich wohl je so empfinden würde wie sie – ob ich jemals den Wunsch haben würde, anderen
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