Die Rückkehr des Poeten
bewusst, dass sie im Mittelpunkt des Kameraausschnitts war, und sie hätte den Fotografen nur für einen Touristen auf dem Weg nach Catalina gehalten.
Die letzten zwei Fotos von den sechsunddreißig schienen nichts mit den anderen zu tun zu haben, so, als wären sie Teil eines völlig anderen Projekts. Auf dem ersten war ein grüner Highway-Wegweiser zu sehen. Als ich es vergrößerte, sah ich, dass es durch die Windschutzscheibe eines Autos aufgenommen war. Ich konnte den Rahmen der Windschutzscheibe, Teile des Armaturenbretts und eine Art Sticker in einer Ecke der Scheibe sehen. Ein Teil der Hand des Fotografen, die das Lenkrad auf elf Uhr hielt, war ebenfalls im Bild.
Das Hinweisschild stand vor einer kargen Wüstenlandschaft. Darauf stand:
ZZYZX ROAD
1 MILE
Ich kannte diese Straße. Oder genauer, ich kannte das Schild. Jeder, der so oft wie ich mit dem Auto zwischen Las Vegas und L. A. unterwegs war, wie ich es im vergangenen Jahr gewesen war, hätte es gekannt. Etwa auf halber Strecke des Freeway 15 war die Zzyzx-Road-Ausfahrt, die, wenn wegen sonst schon nichts, zumindest wegen ihres ungewöhnlichen Namens beachtenswert war. Sie war in der Mojave-Wüste und schien ins Nichts zu führen. Keine Tankstelle, keine Raststätte. Am Ende des Alphabets, am Ende der Welt.
Das letzte Foto war ähnlich rätselhaft. Ich vergrößerte es und sah, dass es ein seltsames Stillleben war. In der Mitte des Ausschnitts war ein altes Boot – die Nieten in seinen hölzernen Planken weit vorstehend, die gelbe Farbe unter der sengenden Sonne abblätternd. Es lag auf dem felsigen Terrain der Wüste, anscheinend meilenweit von jedem Wasser entfernt, auf dem es hätte schwimmen können. Ein Boot, das auf einem Meer aus Sand trieb. Falls dem allem ein bestimmter Sinn innewohnte, erschloss er sich mir nicht auf den ersten Blick.
Indem ich so vorging, wie ich es bei Lockridge beobachtet hatte, druckte ich die zwei Wüstenfotos aus und wandte mich dann wieder den anderen Fotos zu, um ein paar von ihnen zum Ausdrucken auszuwählen. Ich schickte zwei Fotos aus der Mall und zwei von der Fähre an den Drucker. Während ich wartete, vergrößerte ich mehrere der Aufnahmen aus dem Einkaufszentrum auf dem Bildschirm, in der Hoffnung, im Hintergrund etwas zu entdecken, aus dem hervorginge, in welcher Mall Graciela und die Kinder waren. Ich wusste, ich hätte sie einfach fragen können. Aber ich war nicht sicher, ob ich das wollte.
Auf den Fotos konnte ich erkennen, dass die Einkaufstüten anderer darauf abgebildeter Personen von Nordstrom, Saks Fifth Avenue und Barnes & Noble waren. Auf einem der Fotos ging die Familie durch einen Restaurantbereich, in dem die Ketten Cinnabon und Hot Dog on a Stick vertreten waren. Das alles notierte ich mir auf meinem Block, in dem Wissen, dass ich mithilfe dieser fünf Angaben höchstwahrscheinlich in der Lage wäre, festzustellen, in welcher Mall die Fotos aufgenommen worden waren, falls ich zu der Überzeugung gelangen sollte, das wissen zu müssen, und Graciela nicht danach fragen wollte. Diese Frage war noch offen. Ich wollte Graciela nicht unnötig beunruhigen. Ihr zu erzählen, sie sei mit den Kindern möglicherweise belauert worden – und möglicherweise von jemandem mit einem seltsamen Bezug zu ihrem Mann –, schien mir nicht unbedingt angeraten. Zumindest vorerst nicht.
Dieser Bezug entpuppte sich als noch seltsamer und beunruhigender, als der Drucker endlich eins der Fotos ausspuckte, die ich aus der Mall-Serie ausgesucht hatte. Auf diesem Foto ging die Familie an einer Barnes & Noble-Buchhandlung vorbei. Das Foto war von der anderen Seite des Einkaufszentrums aufgenommen, aber der Aufnahmewinkel war fast genau senkrecht zur Fassade. Im Schaufenster der Buchhandlung war ganz schwach das Spiegelbild des Fotografen zu erkennen. Auf dem Bildschirm hatte ich es nicht bemerkt, aber auf dem Ausdruck war es zu sehen.
Das Bild des Fotografen zeichnete sich zu klein und zu schemenhaft auf der Schaufensterdekoration ab – einem lebensgroßen Foto eines Mannes in einem Kilt, das umgeben war von Bücherstapeln und einem Schild mit der Aufschrift: IAN RANKIN HEUTE ABEND BEI UNS! In diesem Moment wurde mir klar, dass ich anhand der Schaufensterauslage den Tag bestimmen könnte, an dem die Fotos von Graciela und den Kindern gemacht worden waren. Dazu musste ich nur in der Buchhandlung anrufen und mich erkundigen, wann Ian Rankin dort gewesen war. Die Auslage trug aber auch dazu bei, den
Weitere Kostenlose Bücher