Die Rückkehr des Poeten
uns einquartiert ist. Fast hätten wir nichts mehr gekriegt, aber dann wurde doch noch was frei. Wegen des Kampfes ist hier gerade alles ausgebucht.«
»Was für ein Kampf?«
»Keine Ahnung. Irgendein Boxkampf im Superschwergewicht oder Juniormittelgewicht in einem der Casinos. So genau habe ich mich damit nicht befasst. Ich weiß nur, dass das der Grund ist, warum es hier im Moment so voll ist.«
Rachel wusste, dass Cherie Dei redete, weil sie nervös war. Sie wusste nicht, ob irgendetwas passiert war oder ob es nur daran lag, dass bei Rachel in dieser Situation Fingerspitzengefühl nötig war.
»Wenn es Ihnen recht ist, können wir gleich ins Hotel fahren, damit Sie dort Ihr Zimmer beziehen können. Wenn Sie möchten, können Sie sich sogar ein bisschen ausruhen. Wir haben später in der Außenstelle ein Treffen. Sie können dort dazustoßen, wenn …«
»Nein. Ich würde lieber gleich an den Tatort fahren.«
Sie gingen durch die automatische Glastür, und Rachel spürte die trockene Luft von Nevada. Es war keineswegs so heiß, wie sie erwartet und beim Packen ihrer Kleiderauswahl zugrunde gelegt hatte. Sogar in der prallen Sonne war es kühl und frisch. Rachel holte ihre Sonnenbrille heraus und entschied, dass hier die Jacke, die sie in South Dakota auf der Fahrt zum Flughafen getragen hatte, angesagt wäre. Sie war in ihrem Matchbeutel.
»Rachel, der Tatort ist zwei Stunden von hier. Wollen Sie wirklich …«
»Ja. Bringen Sie mich hin. Ich möchte dort anfangen.«
»Womit anfangen?«
»Keine Ahnung. Womit er will, dass ich anfange.«
Das ließ Dei stutzen. Sie erwiderte nichts. Sie gingen ins Parkhaus und suchten ihren Dienstwagen – einen Crown Vic, so schmutzig, dass er aussah, als wäre er in Wüstentarnung.
Sobald sie losgefahren waren, holte Dei ein Handy heraus und machte einen Anruf. Rachel hörte, wie sie jemandem – vermutlich ihrem Chef oder Partner oder dem Tatortsupervisor – sagte, dass sie das Paket abgeholt hätte und gerade zum Tatort brächte. Als darauf die Person, die sie angerufen hatte, in aller Ausführlichkeit antwortete, trat längere Stille ein. Dann sagte sie »Wiederhören« und beendete das Gespräch.
»Sie haben Zugang zum Tatort, Rachel, aber Sie müssen sich zurückhalten. Sie sind als Beobachterin hier, ja?«
»Was soll der Quatsch? Ich bin FBI-Agentin, genau wie Sie.«
»Aber Sie sind nicht mehr bei Behavioral. Das ist nicht Ihr Fall.«
»Damit wollen Sie sagen, dass ich hier bin, weil Backus mich hier haben will, nicht Sie und Ihre Leute.«
»Rachel, vielleicht sollten wir versuchen, einen besseren Einstieg hinzukriegen als in Am…«
»Hat sich heute noch irgendwas Neues ergeben?«
»Inzwischen sind wir bei zehn Leichen angekommen. Sie glauben, das sind jetzt alle. Zumindest an dieser Stelle.«
»Identifizierungen?«
»Daran arbeiten sie noch. Bisher liegen nur vorläufige Ergebnisse vor, aber sie sind dabei, alles zusammenzusetzen.«
»Ist Brass Doran am Tatort?«
»Nein, sie ist in Quantico. Sie arbeitet …«
»Sie sollte aber hier sein. Wissen Sie denn nicht, was Sie da haben? Sie …«
»Jetzt kommen Sie erst mal wieder auf den Teppich, Rachel, okay? Und nur damit hier eins klar ist: Die zuständige Agentin bin ich, okay? Sie leiten dieses Ermittlungsverfahren nicht. Wenn Sie das nicht einsehen, wird das hier nicht funktionieren.«
»Aber Backus wendet sich an mich. Er hat nach mir verlangt.«
»Darum sind Sie auch hier. Aber Sie bestimmen nicht, was hier passiert, Rachel. Sie stehen schön dabei und sehen zu. Und ich muss Ihnen sagen, mir gefällt gar nicht, wie das schon wieder losgeht. Das ist hier nicht Miss Rachels Chauffeur. Sie waren meine Betreuerin, aber das war vor zehn Jahren. Ich bin inzwischen länger bei Behavioral, als Sie dort jemals waren, und ich habe mehr Fälle gelöst als Sie. Kommen Sie mir also nicht von oben herab, als ob Sie meine Betreuerin oder meine Mutter wären.«
Zunächst reagierte Rachel gar nicht, und dann bat sie Dei lediglich, anzuhalten, damit sie ihre Jacke aus der Tasche holen könnte, die im Kofferraum war. Dei blieb vor dem Travel America in der Blue Diamond Road stehen und löste die Kofferraumverriegelung.
Als Rachel wieder einstieg, trug sie eine weite schwarze Allwetterjacke, die aussah, als wäre sie für einen Mann entworfen worden. Dei sagte nichts darüber.
»Danke«, sagte Rachel. »Und Sie haben Recht. Ich muss mich entschuldigen. Wahrscheinlich wird man einfach so wie ich, wenn sich
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