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Die Rückkehr des Poeten

Die Rückkehr des Poeten

Titel: Die Rückkehr des Poeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Amsterdam wurden die ermordeten Männer zum letzten Mal im Rosse-Buurt-Viertel gesehen, wo hinter neonumrandeten Schaufenstern, in denen sich Frauen in aufreizender Kleidung den Passanten anbieten, in kleinen Zimmern legalisierter Prostitution nachgegangen wird. In zwei Fällen machten holländische Ermittler Prostituierte aus, die angaben, sie seien an dem Abend, bevor die Toten in der Amstel treibend gefunden wurden, mit den Opfern zusammen gewesen.
    Obwohl die Leichen an verschiedenen Stellen des Flusses gefunden worden waren, wurde in den Berichten angedeutet, dass alle fünf Opfer vermutlich in der Gegend um das Six-Haus ins Wasser gelangt waren. Dieses Areal befand sich im Besitz einer bedeutenden Familie der Amsterdamer Geschichte. Das fand ich interessant, weil sich zum einen Six-Haus und Zzyzx ein wenig ähnlich anhörten. Zum anderen stellte sich aber auch die Frage, ob der Mörder das Six-Haus zufällig ausgesucht hatte oder in der Absicht, sich mit seinen Taten über die Behörden lustig zu machen, indem er sich für ein Gebäude entschied, das gewissermaßen für sie stand.
    Viel weiter kam die holländische Polizei mit ihren Ermittlungen nicht. Sie fanden nie heraus, nach welchem Schema der Mörder seine Opfer auswählte, sie in seine Gewalt brachte und tötete. Backus wäre nicht einmal als winziger Lichtpunkt auf ihrem Radar in Erscheinung getreten, wenn er nicht hätte bemerkt werden wollen. Er schickte der Polizei die Bekennerschreiben, in denen er nach Rachel Walling verlangte und die zu seiner Identifizierung führten. Dem Schlussresümee zufolge enthielten diese Schreiben Angaben zu den Opfern und Taten, die offenbar nur der Mörder kennen konnte. Einem Schreiben war der Pass des letzten Opfers beigelegt.
    Für mich war der Zusammenhang zwischen dem Amsterdamer Rosse-Buurt-Viertel und Clear unübersehbar. Beides waren Orte, an denen Sex ganz legal gegen Geld getauscht wurde. Aber was wichtiger war: Männer suchten solche Orte auf, ohne jemand anderem davon zu erzählen, und legten es vermutlich sogar ganz gezielt darauf an, keine Spuren zu hinterlassen. Das machte sie für einen Killer in verschiedener Hinsicht zu perfekten Zielen und zu perfekten Opfern. Es verschaffte dem Mörder ein zusätzliches Maß an Sicherheit.
    Ich beendete meine Durchsicht von McCalebs Akte über den Poeten und ging sie noch einmal von vorn durch, in der Hoffnung, etwas übersehen zu haben, vielleicht nur ein einziges Detail, das die Sache in einem klareren Licht erscheinen ließe. Manchmal ist das der Fall. Ein übersehenes oder falsch gedeutetes Detail wird der Schlüssel zum ganzen Rätsel.
    Aber ich fand dieses Detail auch bei der zweiten Durchsicht nicht, und bald erschienen mir die Berichte nur noch ermüdend und sich ständig wiederholend. Ich wurde müde und irgendwie dachte ich plötzlich über diesen kleinen Jungen nach, der in der Dusche mit Handschellen an die Handtuchstange gekettet worden war. Ich stellte mir die Szene immer wieder vor, und ich empfand Mitleid mit dem Jungen und Wut auf den Vater, der es tat, und auf die Mutter, die sich nicht genug dafür interessiert hatte.
    Hieß das, dass ich Mitleid mit einem Mörder empfand? Das glaubte ich nicht. Backus hatte seine eigenen Qualen genommen und etwas anderes daraus gemacht und sie dann gegen die Welt gekehrt. Ich hatte ein gewisses Verständnis für diesen Vorgang, und ich hatte Mitleid mit dem Jungen, der er gewesen war. Aber für Backus, den erwachsenen Mann, empfand ich nichts als eine kalte Entschlossenheit, ihn zu stellen und für das, was er tat, büßen zu lassen.

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    E
    s roch grauenhaft, aber Backus wusste, dass er damit leben konnte. Es waren die Fliegen, die ihn am meisten abstießen. Sie waren überall, tot und lebendig. Und sie waren mit Bazillen und Krankheiten und Schmutz behaftet. Als er sich mit hochgezogenen Knien unter die Decke kuschelte, konnte er sie im Dunkeln summen hören, wie sie blindlings herumflogen und mit kleinen Geräuschen gegen die Fliegengittertüren und Wände prallten. Sie waren da draußen, überall. Er hätte wissen müssen, dass sie kommen würden, dass sie Teil des Plans waren.
    Er versuchte, ihre Geräusche auszublenden. Er versuchte, sich auf den Plan zu konzentrieren. Es war sein letzter Tag hier. Zeit, weiterzuziehen. Zeit, es ihnen zu zeigen. Er wäre gern hier geblieben, um zuzusehen, um Zeuge des Geschehens zu werden. Aber es gab viel zu tun.
    Er hörte zu atmen auf. Jetzt konnte er sie spüren. Die

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