Die Rückkehr des Poeten
an die Tür von Eleanor Wishs Haus, und die Frau aus San Salvador, die dort wohnte und auf meine Tochter aufpasste, öffnete mir. Marisol hatte ein freundliches, aber ausgezehrtes Gesicht. Sie war in den Fünfzigern, sah aber viel älter aus. Die Geschichte ihres Überlebens war schrecklich, und jedes Mal, wenn ich darüber nachdachte, fand ich, dass ich mit meiner Geschichte Glück gehabt hatte. Marisol war seit dem Tag, an dem ich unerwartet in diesem Haus aufgetaucht war und festgestellt hatte, dass ich eine Tochter hatte, immer freundlich zu mir gewesen. Sie hatte mich nie als Bedrohung betrachtet und war immer herzlich und voller Respekt für meine Stellung als Vater und Außenstehender gewesen. Sie trat zurück, um mich hereinzulassen.
»Sie schlafen«, sagte sie.
Ich hielt die Akte hoch, die ich bei mir hatte.
»Das macht nichts. Ich habe was zu arbeiten dabei. Ich möchte nur eine Weile bei ihr sitzen. Wie geht’s, Marisol?«
»Oh, danke gut.«
»Ist Eleanor im Casino?«
»Ja, sie gefahren.«
»Und wie ging’s Maddie heute Abend?«
»Maddie, sie ist gutes Mädchen. Sie spielen.«
Marisol beschränkte ihre Berichte immer auf ein Minimum. Da ich zunächst angenommen hatte, der Grund, weshalb sie so wenig sprach, seien ihre mangelhaften Englischkenntnisse, hatte ich versucht, spanisch mit ihr zu sprechen. Aber auch in ihrer Muttersprache hatte sie nicht nennenswert mehr gesagt und ihre Auskünfte über das Leben und die Aktivitäten meiner Tochter in jeder Sprache auf einige wenige Worte beschränkt.
»Okay, gut, danke«, sagte ich. »Wenn Sie schon zu Bett gehen wollen, kann ich mich später selber rauslassen. Ich passe auf, dass die Tür abgeschlossen ist.«
Ich hatte keinen Hausschlüssel, aber die Eingangstür verschloss sich von selbst, wenn ich sie zumachte.
»Ja, ist okay.«
Ich nickte und ging den Gang auf der linken Seite hinunter. Ich betrat Maddies Zimmer und schloss die Tür. An der hinteren Wand war ein Nachtlicht eingesteckt, das einen blauen Schein über das Zimmer breitete. Ich ging an die Seite von Maddies Bett und machte die Nachttischlampe an. Aus Erfahrung wusste ich, dass Maddie durch das Licht nicht im Schlaf gestört wurde. Die Träume der Fünfjährigen waren so tief, dass sie anscheinend nicht einmal von einem Play-off-Spiel der Lakers oder einem Erdbeben der Stärke 5 wach wurde.
Das Licht brachte auf dem Kissen ein Nest zerzausten dunklen Haars zum Vorschein. Ihr Gesicht war von mir abgewandt. Ich strich mit der Hand die Locken aus ihrem Gesicht, und ich beugte mich über sie und küsste sie auf die Wange. Ich drehte meinen Kopf zur Seite, sodass mein Ohr näher bei ihr war. Ich überprüfte ihr Atemgeräusch und wurde belohnt. Ein kurzer Moment unbegründeter Angst fiel von mir ab.
Ich ging zur Kommode und machte das Babyfon aus, dessen anderes Element im Fernsehzimmer oder in Marisols Schlafzimmer war. Es war jetzt nicht erforderlich. Ich war da.
Maddie schlief in einem großen Bett, dessen Bezug mit allen möglichen Katzen bedruckt war. Da ihr kleiner Körper in dem Bett so wenig Platz einnahm, blieb für mich mehr als genug, um das zweite Kissen gegen das Kopfteil zu lehnen und mich neben sie zu setzen. Ich schob meine Hand unter die Decke und legte sie behutsam auf ihren Rücken. Ohne mich zu bewegen, wartete ich, bis ich das leichte Heben und Senken ihres Atems spürte. Mit der anderen Hand öffnete ich die Akte über den Poeten und begann zu lesen.
Den größten Teil der Akte hatte ich bereits beim Essen durchgearbeitet. Dazu gehörte auch das Täterprofil, das zum Teil von Agent Rachel Walling stammte, zum Teil aus Ermittlungsberichten und Tatortfotos bestand, die sich angesammelt hatten, als die Ermittlungen noch in vollem Gang waren und das FBI im ganzen Land nach dem als Poet bezeichneten Mörder fahndete. Das war acht Jahre zuvor gewesen, als der Poet auf dem Weg von Osten nach Westen acht Detectives ermordete, bevor die Serie in Los Angeles abriss.
Jetzt, mit meiner schlafenden Tochter neben mir, begann ich mit den Berichten, die aus der Zeit stammten, als FBI Special Agent Robert Backus als mutmaßlicher Täter identifiziert worden war. Nachdem er von Rachel Walling angeschossen worden und anschließend verschwunden war.
Unter diesen Unterlagen befand sich auch der Obduktionsbefund einer Leiche, die von einem Inspektor der städtischen Versorgungsbetriebe in einem Flutkanal im Laurel Canyon gefunden worden war. Die Leiche wurde fast drei Monate nach
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