Die Rückkehr des Tanzlehrers
den Hörer auf und dachte, daß er hätte sagen müssen, daß er sie liebte, auch wenn er es nicht tat. Es war trotz allem sie, die sich immer in seiner Nähe befand. Es war sie, die seine Hand halten würde, wenn er einmal starb. Er fragte sich, ob ihr klargeworden war, was er gesagt hatte. Daß er einen Menschen getötet hatte.
Er stand auf und trat an eines der niedrigen Fenster. Draußen war es jetzt hell. Er sah die Berge, und er konnte auch Maria vor sich sehen, wie sie in dem roten Plüschsessel neben dem kleinen Tisch saß, auf dem das Telefon stand.
Er sehnte sich nach Hause.
Dann kochte er Kaffee und öffnete die Haustür, um zu lüften. Wenn jemand den Pfad entlangkäme, wußte er, was er sagen würde. Er hatte Herbert Molin ermordet, aber nicht den anderen Mann. Doch es würde niemand den Pfad entlangkommen. Das hatte er beschlossen. Er war hier allein. Er konnte diese niedrige Blockhütte in sein Hauptquartier verwandeln, während er versuchte, sich darüber klarzuwerden, was eigentlich dort in dem Wald passiert war, als Abraham An-dersson getötet wurde.
Auf einem Regal stand eine gerahmte Fotografie. Zwei Kinder saßen vor dem Haus auf der Treppe, unter der er den Schlüssel gefunden hatte. Sie lachten in die Kamera. Er nahm das Foto in die Hand und drehte es um. Die Jahreszahl war schwach zu erkennen: 1998. Außerdem stand da »Stockholm«. Er suchte das Haus methodisch nach Spuren des Besitzers ab und fand schließlich eine Rechnung von einem Elektrogeschäft in Sveg, die auf einen Mann namens Frostengren mit einer Stockholmer Adresse ausgestellt war. Das überzeugte ihn davon, daß er damit rechnen konnte, unbehelligt zu bleiben. Das Haus lag sehr einsam, und der November war sicher kein Monat für Wanderer oder Skiläufer. Das einzige, woran er denken mußte, war, aufzupassen, wenn er auf die Hauptstraße einbog. Und er würde jedesmal, wenn er fuhr oder zurückkam, Ausschau halten, ob eines der Häuser, die er passiert hatte, Zeichen aufwies, nicht mehr verbarrikadiert zu sein.
Den Rest des Tages blieb er im Haus. Er schlief viel, traumlos, und erwachte, ohne beunruhigt zu sein. Er trank Kaffee, briet Hamburger, ging dann und wann hinaus, um die Berge zu betrachten. Gegen zwei Uhr am Nachmittag begann es zu regnen. Er machte die Lampe über dem Tisch im großen Zimmer an und setzte sich an das Fenster, um darüber nachzudenken, wie er weiterkommen würde.
Es gab einen selbstverständlichen und vollkommen eindeutigen Ausgangspunkt. Aaron Silberstein, oder Fernando He-reira, wie er sich zur Zeit nannte, hatte einen Mord begangen. Wäre er gläubig wie Maria, hätte ihn das zu einer der schlimmsten Höllenstrafen verurteilt. Aber er war nicht gläubig. Für ihn gab es keine Götter außer denen, die er zuweilen in schwachen Augenblicken, und nur dann, wenn er sie brauchte, selbst erschuf. Götter waren etwas für die Armen und die Schwachen. Er selbst war weder arm noch schwach. Er hatte sich schon als Kind mit einem dicken Panzer umgeben müssen, der im Laufe der Jahre zu einem Teil seiner Persönlichkeit geworden war. Ob er in Argentinien in erster Linie Jude oder ein deutscher Immigrant war, wußte er nicht. Weder die jüdische Religion und die damit verbundenen Traditionen noch die jüdische Gemeinschaft hatten ihm in seinem Leben je geholfen.
Ende der sechziger Jahre war er einmal nach Jerusalem gereist. Es war ein Jahr nach dem ersten großen Krieg gegen Ägypten, und es war alles andere als eine Pilgerfahrt gewesen. Er hatte die Reise aus Neugierde unternommen, vielleicht auch als Buße für seinen Vater, weil er seinen Mörder noch immer nicht gefunden hatte. Im selben Hotel in Jerusalem hatte damals ein alter Jude aus Chicago gewohnt. Rechtgläubig und orthodox. Er hatte ein paarmal im Frühstückssaal mit ihm zusammengesessen. Isak Sadler war ein freundlicher Mann gewesen. Mit einem schwermütigen Lächeln, das nicht verbarg, daß er immer noch verwundert war, das Konzentrationslager überlebt zu haben. Als die Befreiung in Gestalt der amerikanischen Soldaten schließlich eingetroffen war, war er so ausgemergelt, als er da in einer der Todesbaracken lag, daß er seine letzten Kräfte hatte mobilisieren müssen, um ihnen zu erklären, daß er nicht begraben werden durfte. Er lebte noch. Und er hatte es danach als Selbstverständlichkeit angesehen, nach Amerika zu fahren und den Rest seines Lebens dort zu verbringen. Eines Morgens hatten sie beim Frühstück über Eichmann gesprochen,
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