Die Rückkehr des Tanzlehrers
und sie hatten von Rache geredet. Für Aaron war es eine Zeit des Niedergangs gewesen. Er hatte gegen Ende der sechziger Jahre resigniert und gedacht, daß er den Mann, der seinen Vater getötet hatte, nie aufspüren würde.
Doch das Gespräch mit Isak Sadler hatte ihn von neuem »inspiriert«. Genau dieses Wort hatte er in seinen Gedanken benutzt. Inspiriert, um weiter nach dem Mörder seines Vaters zu suchen. Isak Sadler hatte der festen Überzeugung Ausdruck verliehen, daß die Hinrichtung Eichmanns rechtmäßig war. Die Jagd auf die deutschen Nazis mußte weitergehen, solange noch Grund zur Annahme bestand, daß einer von denen, die die fürchterlichen Verbrechen begangen hatten, am Leben war.
Nach der Rückkehr aus Jerusalem hatte ihn sein jüdischer Ursprung ebensowenig interessiert wie zuvor. Aber er hatte die Suche wieder aufgenommen und Hilfe von Simon Wiesenthal in Wien erhalten, ohne daß es ihn weitergebracht hätte. Es sollte noch einige Zeit dauern, bis ihm plötzlich Höllner über den Weg laufen und ihm den fehlenden Schlüssel geben würde. Aber das wußte er damals noch nicht.
Er stand in der Hütte eines Mannes namens Frostengren und schaute über das Tal und die Berge. Es war ihm gelungen, die Nadel im Heuhaufen zu finden. Und er hatte nicht gezögert, als der Moment schließlich gekommen war. Herbert Molin war tot. Soweit war alles planmäßig verlaufen. Aber dann war da dieser andere Mann im Wald gewesen. Er war neben seinem eigenen Haus ermordet worden.
Es gab Ähnlichkeiten zwischen den beiden Todesfällen, als habe der Mörder Abraham Anderssons das, was Aaron mit Herbert Molin getan hatte, imitiert. Zwei einsame, alte Männer, die allein lebten. Beide mit Hunden. Beide waren außerhalb ihres Hauses getötet worden. Doch das Wichtigste waren die Unterschiede. Was die Polizisten sahen, konnte er nicht wissen, aber er entdeckte diese Unterschiede, weil er nichts mit Anderssons Tod zu tun hatte.
Aaron blickte hinaus auf die Berge. Nebelbänke lagen über dem Tal. In seinen Gedanken war er jetzt einer Entscheidung sehr nahe gekommen, das spürte er. Derjenige, der Andersson getötet hatte, wollte, daß es so aussah, als sei derselbe Täter zweimal am Werk gewesen, um die Schuld auf einen anderen zu schieben. Aber wer konnte so genau wissen, wie der Mord an Molin vor sich gegangen war? Aaron wußte nicht, was in den Zeitungen gestanden hatte. Er hatte keine Ahnung, was die Polizei auf ihren Pressekonferenzen, die doch sicher abgehalten worden waren, gesagt hatte. Wer wußte davon?
Es gab noch ein weiteres großes »Warum«, auf das er eine Antwort suchte. Derjenige, der Abraham Andersson getötet hatte, mußte ein Motiv gehabt haben. Eine Feder ist gespannt worden, dachte er. Als Herbert Molin stirbt, wird ein Mechanismus ausgelöst, der bewirkt, daß auch Abraham Andersson sterben muß. Warum? Und durch wen?
Den ganzen Tag über näherte er sich diesen Fragen von verschiedenen Seiten. Er machte sich mehrfach etwas zu essen. Nicht weil er besonders hungrig war, sondern um seine Nervosität zu dämpfen. Er konnte die Unruhe darüber nicht abschütteln, auf irgendeine Weise an dem, was Abraham Andersson geschehen war, mitschuldig zu sein. Hatte es ein gemeinsames Geheimnis zwischen den beiden Männern gegeben? Und bestand die Gefahr, daß Andersson, wenn Molin starb, dieses Geheimnis enthüllte? So mußte es gewesen sein. Etwas, von dem er nichts gewußt hatte. Herbert Molins Tod bedeutete eine plötzliche Gefahr für jemanden, und Abraham Andersson mußte sterben, damit das Geheimnis nicht enthüllt wurde.
Er öffnete die Tür und trat vor das Haus. Es roch nach nassem Moos. Wolken zogen tief über seinem Kopf dahin. Wolken machen keine Geräusche, dachte er. Eine vollkommen lautlose Bewegung. Er ging langsam um die Blockhütte herum. Zuerst einmal, dann ein zweites Mal.
Es gab eine weitere Person, die sich in der Gegend gezeigt hatte, in der Herbert Molin und Abraham Andersson ihr Leben verbracht hatten. Eine Frau. Dreimal hatte er sie durch den Wald kommen sehen, um Herbert Molin zu besuchen. Er war ihnen gefolgt, als sie auf verschiedenen Waldwegen spazieren gegangen waren. Einmal, bei ihrem zweiten Besuch, waren sie in die Nähe des Sees gegangen, und er hatte gefürchtet, sie würden seinen Zeltplatz entdecken. Aber gerade vor der letzten Biegung hatten sie kehrtgemacht, und er hatte aufatmen können. Er war ihnen durch den Wald gefolgt wie ein Pfadfinder oder wie einer der Indianer,
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