Die Rückkehr des Tanzlehrers
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Stefan ging zurück in seine Wohnung und wechselte das Hemd. Er betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Als er ein Kind war, hatten alle gesagt, er gliche seiner Mutter. Aber je älter er wurde, desto deutlicher wurde es, daß sein Gesicht an das des Vaters erinnerte. Jemand weiß es, dachte er. Jemand muß mir etwas über meinen Vater und seine politischen Ansichten erzählen können. Ich muß mit meinen Schwestern reden. Und es gibt noch eine Person, die es wissen muß. Der engste Freund meines Vaters. Der Anwalt, der sein Testament aufgesetzt hat. Stefan wurde plötzlich klar, daß er nicht einmal wußte, ob der Anwalt noch am Leben war. Hans Jacobi hieß er. Vielleicht war es ein jüdischer Name. Aber Jacobi war blond, groß und kräftig, Tennisspieler, erinnerte sich Stefan. Er suchte das Telefonbuch hervor und schlug es unter dem Namen auf. Dort stand er noch. Rechtsanwaltskanzlei Jacobi & Brandell.
Er wählte die Nummer. Eine Frauenstimme meldete sich mit dem Namen der Kanzlei.
»Ich möchte Anwalt Jacobi sprechen.«
»Wie ist bitte Ihr Name?«
»Mein Name ist Stefan Lindman.«
»Herr Jacobi ist pensioniert.«
»Er war ein guter Freund meines Vaters.«
»Daran erinnere ich mich, aber Herr Jacobi ist alt. Er hat vor mehr als fünf Jahren aufgehört.«
»Ich rufe vor allen Dingen an, um zu hören, ob er noch lebt.«
»Er ist krank.«
»Wohnt er noch in Kinna?«
»Er wird von seiner Tochter in deren Haus in der Nähe von Varberg gepflegt.«
»Ich würde gern Kontakt zu ihm aufnehmen.«
»Ich kann Ihnen weder seine Adresse noch seine Telefonnummer geben. Herr Jacobi hat darum gebeten, nicht gestört zu werden. Als Herr Jacobi hier aufgehört hat, ist er ordnungsgemäß ausgeschieden.«
»Was bedeutet das?«
»Daß er alle Arbeit seinen jüngeren Kollegen überlassen hat. Vor allem seinem Neffen Lennart Jacobi, der jetzt Teilhaber der Firma ist.«
Stefan bedankte sich und legte auf. Es würde nicht schwer sein, die Adresse in Varberg zu finden, aber plötzlich wurde er unsicher. Sollte er wirklich einen alten, kranken Mann mit Fragen über die Vergangenheit belästigen? Er konnte sich nicht entscheiden und schob es auf den nächsten Tag. Gerade jetzt erwartete ihn etwas anderes. Etwas Wichtigeres.
Kurz nach sieben Uhr parkte er den Wagen vor dem Haus in Norrby, in dem Elena wohnte. Er schaute zu ihren Fenstern hinauf.
Ohne Elena bin ich jetzt überhaupt nichts, dachte er.
Etwas hatte Aaron Silberstein im Verlauf der Nacht unruhig gemacht. Einmal war er davon aufgewacht, daß der Hund vor dem Zelt winselte. Er hatte ihn angezischt, und der Hund war sofort verstummt. Dann war er wieder eingeschlafen und hatte vom La Cabana und Höllner geträumt. Als er erneut wach wurde, war es immer noch dunkel. Er lag reglos da und lauschte. Die Uhr, die er an einer der Zeltstangen aufgehängt hatte, zeigte Viertel vor fünf. Er versuchte sich zu verdeutlichen, was ihn unruhig gemacht hatte. War es aus ihm selbst heraus gekommen, oder war es etwas dort draußen in der kalten Herbstnacht gewesen? Obwohl es bis zum Morgengrauen noch lange dauern würde, konnte er nicht länger im Schlafsack liegenbleiben. Das Dunkel vor seinem Zelt war von Fragen erfüllt.
Wenn es dahin kommen sollte, daß er vor Gericht gestellt würde, müßte er für den Mord an Herbert Molin verurteilt werden. Er hatte nicht die Absicht abzustreiten, was er getan hatte. Wäre alles nach Plan verlaufen, und wäre er wie beabsichtigt nach Buenos Aires zurückgekehrt, hätte die Polizei keine Chance, ihn je zu fassen. Der Mord an Herbert Molin würde in den Archiven der schwedischen Polizei versinken und niemals aufgeklärt werden.
Er hatte mehrmals, vor allem in der langen Zeit, die er im Zelt am See verbracht und darauf gewartet hatte, daß die Zeit reif wäre, erwogen, vielleicht ein Geständnis niederzuschreiben und einen Anwalt zu bitten, es nach seinem Tod an die schwedische Polizei zu schicken. Er konnte eine Erklärung hinterlassen, warum er Herbert Molin töten mußte. Es würde eine Erklärung sein, die bis ins Jahr 1945 zurückreichte und das, was geschehen war, einfach und klar darstellte. Aber wenn sie ihn jetzt faßten, würde man ihn auch eines Verbrechens bezichtigen, das er nicht begangen hatte. Des Mordes an Herbert Molins Nachbarn.
Er kroch aus dem Schlafsack und baute in der Dunkelheit das Zelt ab. Der Hund zerrte an der Leine und wedelte mit dem Schwanz. Mit der Taschenlampe leuchtete er die Stelle ab, an der das Zelt
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