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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wieder ein, daß sie gesagt hatte, sie habe die Nachricht vom Tod ihres Vaters beim Anblick des Kölner Doms erhalten. Durch das Fenster dieses Zimmers konnte sie den Fluß und die bewaldeten Hügel sehen, die sich blau südlich des Flusses erstreckten. Vielleicht ist dies hier genauso schön, dachte er. Auf seine Weise ebenso gewaltig wie der Kölner Dom.
    Es gab zwei Sessel im Zimmer. Sie hatte die Nachttischlampe eingeschaltet und den Schirm zur Seite gedreht, so daß das Zimmer im Halbdunkel lag. Er spürte den Duft ihres Parfüms. Ihm fuhr der Gedanke durch den Kopf, wie sie wohl reagieren würde, wenn er sagte, daß es im Moment sein größter Wunsch sei, ihr die Kleider auszuziehen und sie zu lieben. Würde sie erstaunt sein? Wahrscheinlich würde sie ihn bitten, sich zum Teufel zu scheren.
    »Sie haben mich gebeten zu kommen«, sagte er. »Jetzt würde ich gern wissen, was Sie zu erzählen haben. Doch Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß dieses Gespräch eigentlich nicht stattfinden dürfte. Giuseppe Larsson sollte hier sitzen, oder einer seiner Kollegen. Nicht ich. In der Ermittlung, wer Ihren Vater und Abraham Andersson ermordet hat, existiere ich nicht.«
    »Ich weiß, aber ich möchte trotzdem mit Ihnen sprechen.«
    Stefan bemerkte ihre Unruhe. Er wartete. »Ich habe zu verstehen versucht«, begann sie, »wer konnte einen Grund gehabt haben, meinen Vater zu ermorden? Zuerst war alles lediglich unbegreiflich. Es kam mir so vor, als habe jemand ohne Veranlassung seine Hand erhoben und sie mit voller Kraft auf meinen Kopf niederfahren lassen. Es gab einfach kein Motiv. Ich war wie gelähmt, was ich normalerweise nicht bin. Bei meiner Arbeit werde ich jeden Tag mit Krisen konfrontiert, die sich zu geschäftlichen Katastrophen entwickeln können, wenn ich nicht völlig kalt bleibe und nichts außer Tatsachen und rationalen Beschlüssen meine Handlungen bestimmt. Aber das ist vorbeigegangen. Ich begann wieder zu denken, und vor allem begann ich, mich zu erinnern.«
    Sie sah ihn an.
    »Ich habe dieses Tagebuch gelesen«, fuhr sie fort. »Was da stand, war wie ein Schock für mich.«
    »Sie haben also nichts über seine Vergangenheit gewußt?«
    »Nichts. Das habe ich Ihnen doch schon gesagt.«
    »Haben Sie mit Ihrem Bruder gesprochen?«
    »Er hat auch nichts davon gewußt.«
    Ihre Stimme klang eigenartig tonlos. Stefan bekam plötzlich ein vages Gefühl von Unsicherheit. Er schärfte seine Aufmerksamkeit, beugte sich im Stuhl vor, so daß er ihr Gesicht deutlicher erkennen konnte.
    »Es war unbegreiflich für mich zu entdecken, daß mein Vater Nazi gewesen ist. Nicht nur mit Worten, sondern in allerhöchstem Grad in Taten. Freiwilliger Soldat auf Hitlers Seite. Ich habe mich geschämt. Ich habe ihn gehaßt. Hauptsächlich, weil er nichts davon gesagt hat.«
    Stefan fragte sich, ob er sich seines eigenen Vaters schämte. Aber soweit war er noch nicht gekommen. Er dachte, daß die Situation, in der er sich befand, merkwürdig war. Die Frau ihm gegenüber und er selbst hatten die gleiche Entdeckung über ihre Väter machen müssen.
    »Aber trotzdem habe ich in diesem Tagebuch erkannt, daß es vielleicht eine Erklärung dafür gibt, weshalb er getötet worden ist.«
    Sie verstummte. Ein Lastwagen donnerte auf der Straße vorbei. Stefan wartete gespannt.
    »An wieviel von dem, was da stand, können Sie sich erinnern?« fragte sie.
    »Ziemlich viel. Natürlich keine Details oder Daten.«
    »Er beschreibt eine Reise nach Schottland.«
    Stefan nickte, er erinnerte sich. Die langen Spaziergänge mit »M«.
    »Es ist lange her. Ich bin damals noch nicht sehr alt gewesen, aber mein Vater ist nach Schottland gefahren, um eine Frau zu treffen. Ich glaube, sie hieß Monica, aber ich bin mir nicht sicher. Er hat sie in Boras getroffen. Sie war auch bei der Polizei, aber sie war sehr viel jünger. Es hat eine Art Austausch zwischen Schweden und Schottland gegeben. Sie haben sich
    ineinander verliebt. Meine Mutter wußte nichts davon. Auf jeden Fall damals nicht. Er ist hingefahren, um sie zu treffen, und er hat sie betrogen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Sie schüttelte unwillig den Kopf. »Ich erzähle in meinem eigenen Tempo. Sie müssen verstehen, daß es für mich auch so schon schwer genug ist. Er hat sie um Geld betrogen. Was er zu ihr gesagt hat, weiß ich natürlich nicht, aber er hat sich große Summen von ihr geliehen. Und er hat es nie zurückgezahlt. Mein Vater hatte eine Schwäche. Er hat gespielt. In

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