Die Rückkehr des Tanzlehrers
nehmen. Einerseits rede ich mir ein, daß ich diese Krankheit überstehen werde. Andererseits tue ich alles dafür, in der Rolle eines zum Tode Verurteilten ohne Hoffnung aufzugehen.
Als er in Sveg eintraf, bereute er die Reise. Er spürte den Impuls, gar nicht erst vor dem Hotel zu halten, sondern nach Östersund zurückzukehren und so schnell wie möglich nach Boras und zu Elena zurückzufliegen.
Dann parkte er und ging hinein. Das Mädchen in der Rezeption schien sich zu freuen, ihn zu sehen. »Ich dachte mir schon, daß Sie sich nicht so einfach von uns losreißen können«, sagte sie mit einem Lachen.
Stefan lachte zurück. Viel zu laut und grell. Sogar mein Lachen ist gelogen, dachte er resigniert.
»Sie bekommen dasselbe Zimmer«, sagte das Mädchen, »Nummer drei. Es ist eine Nachricht von Frau Molin für Sie da.«
»Ist sie im Haus?«
»Nein, aber sie wollte gegen vier Uhr zurück sein.«
Er ging hinauf in sein Zimmer. Es kam ihm vor, als sei er nie fort gewesen. Er ging ins Badezimmer, machte den Mund auf und streckte die Zunge heraus. Kein Mensch stirbt an Zungenkrebs, dachte er. Alles wird gut werden. Ich kriege meine Strahlenbehandlung, dann werde ich wieder gesund. Alles wird gut. Einmal wird mir diese ganze Zeit wie ein Zwischenspiel in meinem Leben vorkommen. Wie ein Alptraum, aber kaum mehr als das.
Er nahm sein Adressenverzeichnis und suchte die Nummer seiner Schwester heraus, die in Helsinki wohnte. Er hörte ihre Stimme auf einem Anrufbeantworter. Er hinterließ eine Nachricht mit seiner Handynummer. Die Nummer seiner zweiten Schwester, die verheiratet war und in Frankreich lebte, hatte er nicht bei sich, und es war ihm zuviel, jetzt die Auskunft anzurufen. Er hatte nie gelernt, ihren neuen Nachnamen zu buchstabieren.
Er betrachtete das Bett. Wenn ich mich hinlege, werde ich sterben, dachte er. Er zog sein Hemd aus, schob einen Tisch zur Seite und begann, Liegestütze zu machen. Bei fünfundzwanzig dachte er, er würde nicht mehr schaffen. Aber er zwang sich, bis vierzig weiterzumachen. Dann setzte er sich auf den Fußboden und fühlte seinen Puls. Einhundertsiebzig. Viel zu hoch. Er beschloß, mehr Sport zu treiben. Jeden Tag, egal, wie das Wetter war, gleichgültig, wie es ihm ging. Er durchsuchte seine Tasche. Die Joggingschuhe hatte er vergessen. Dann zog er sich Hemd und Jacke an und ging hinaus. Er suchte Svegs einziges Sportgeschäft, das ein äußerst begrenztes Sortiment an Trainingsschuhen aufwies. Er fand ein Paar, das ihm paßte, und ging anschließend in die Pizzeria und aß. Ein Radio lief. Plötzlich hörte er Giuseppes Stimme. Er appellierte im Lokalsender erneut an die Allgemeinheit, sich zu melden, wenn jemand irgendwelche Beobachtungen gemacht hatte. Die stekken wirklich fest, dachte Stefan. Sie treten auf der Stelle im Schlamm, in dem nicht die geringste Spur zu erkennen ist.
Er fragte sich plötzlich, ob die Morde an Herbert Molin und Abraham Andersson unaufgeklärt bleiben würden.
Nach dem Essen machte er einen Spaziergang. Diesmal in nördlicher Richtung, an einem Freilichtmuseum mit alten Häusern vorbei. Danach kam das Krankenhaus. Er ging schnell, um sich anzustrengen. In sich hörte er plötzlich Musik. Es dauerte eine Weile, bis er verstand, daß es die Musik war, die er bei Jacobi gehört hatte. Johann Sebastian Bach. Er ging, so weit er konnte, und drehte erst um, als er Sveg hinter sich gelassen hatte.
Nachdem er geduscht hatte, ging er in die Rezeption hinunter. Veronica Molin wartete schon auf ihn. Wieder dachte er, daß sie eine bemerkenswert schöne Frau war.
»Vielen Dank, daß Sie gekommen sind«, sagte sie.
»Die Alternative wäre gewesen, Bowling zu spielen.«
Sie sah ihn verblüfft an, dann platzte sie heraus. »Ich bin froh, daß Sie nicht Golf gesagt haben. Ich habe noch nie mit Männern gekonnt, die Golf spielen.«
»Ich habe noch nie einen Golfschläger in der Hand gehalten.«
Sie blickte sich in der Rezeption um. Ein paar Testfahrer kamen herein und verkündeten lautstark, daß es an der Zeit sei, Bier zu trinken.
»Im allgemeinen lade ich Männer nicht in mein Hotelzimmer ein«, sagte sie, »aber dort können wir in Ruhe reden.«
Ihr Zimmer lag im Erdgeschoß am Ende des Flurs. Das Zimmer war anders als Stefans. Es war größer. Er fragte sich flüchtig, wie sich ein Mensch vorkam, der es gewohnt war, überall auf der Welt in Luxussuiten zu leben, wenn er sich in Sveg mit der Einfachheit eines Hotelzimmers abfinden mußte. Ihm fiel
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