Die Rückkehr des Tanzlehrers
Quittung glattstrichen, konnten sie das Datum nicht erkennen. Nur die Uhrzeit. Zwanzig Uhr zwölf. Aber das Datum würden sie schnell in Erfahrung bringen.
Jemand fährt von Kalmar nach Härjedalen. Unterwegs tankt er in Söderköping. Dann geht die Reise weiter. Er versucht, den Mann zu töten, der mit großer Wahrscheinlichkeit hinter dem Mord an Herbert Molin steckt. Weder Stefan noch Giuseppe waren Polizisten, die an Zufälle glaubten. Irgendwo in dem nazistischen Morast jenes Untergrunds, in dem sich Wet-terstedt und die Stiftung namens »Schwedens Wohl« befanden, hatte Stefans Besuch Unruhe ausgelöst. Sie konnten nicht mit Sicherheit wissen, daß er es war, der in Wetterstedts Wohnung eingebrochen war. Oder doch? Stefan erinnerte sich wieder an die Haustür, die zuschlug, als er die Wohnung verlassen hatte. Das Gefühl, daß ihn jemand beobachtete, wie er es auch in den letzten Tagen gehabt hatte.
»Zwei unsichtbare Schatten ergeben möglicherweise einen sichtbaren«, sagte er zu Giuseppe. »Vielleicht ist es einfach so, daß der Schatten, der mich dort überwacht hat, derselbe ist, der mir hier auf den Fersen bleibt.«
Die Schlußfolgerung, auf die Stefan hinauswollte, war, daß sie richtiger dachten, als sie eigentlich zu hoffen wagten. Alles drehte sich um den Untergrund, in dem alte Nazis auf etwas Neues trafen, das den alten Wahnsinn mit dem neuen vereinte. Jemand war in diese Schattenwelt eingebrochen und hatte Herbert Molin getötet. Es war ein Beben durch die Nazis gegangen. Die Kellerasseln begannen hervorzukriechen, wie Giuseppe es hinterher ausdrückte. Wer war der eigentliche Feind dieser Nazis? War es der Mann, der Herbert Molin getötet hatte? Konnte das bedeuten, daß Abraham Andersson über weit mehr Bescheid gewußt hatte als über Herbert Molins und Elsa Berggrens Vergangenheit und ihre Ansichten? Daß er die Organisation gekannt hatte? Gedroht hatte, sie oder vielleicht etwas noch Größeres zu entlarven? Das konnten sie nicht wissen. Aber in Söderköping war ein Ford Escort von einem Mann aufgetankt und nach Härjedalen gefahren worden, der es darauf abgesehen hatte, jemanden zu töten. Und Elsa Berggren hatte sich plötzlich entschlossen, die Schuld für einen Mord auf sich zu nehmen, den sie nicht begangen hatte. Da begann das Muster langsam deutlicher zu werden. Schlußfolgerungen wurden möglich. Es gab eine Organisation, die auch Stefans Vater noch lange nach seinem Tod finanziell unterstützt hatte. Herbert Molin hatte ihr angehört. Ebenso Elsa Berggren. Aber nicht Abraham Andersson. Doch irgendwie hatte er von ihrer Existenz Wind bekommen. Nach außen hin ein freundlicher Mann, der in Helsingborgs Sinfonieorchester Geige spielte, Mitglied der Zentrumspartei war und unter dem Pseudonym Siv Nilsson harmlose Schlager komponierte. Doch unter dieser Oberfläche ein Mann, der mehr als einen Ausgang aus seinem Bau gehabt hatte. Der Erpressung betrieben, gedroht, Forderungen gestellt hatte. Der vielleicht auch im Innersten darüber empört gewesen war, daß sein Nachbar ein unverbesserlicher alter Nazi war.
Nach einer halben Stunde war Stefan mit seinen Überlegungen zu Ende gekommen. »Der Bau«, sagte er. »Abraham An-derssons Bau. Was verbarg sich darin? Wieviel hat er gewußt? Was es auch war, es war zuviel.«
Vor dem Fenster wurde der Schneefall dichter. Giuseppe hatte die Schreibtischlampe so ausgerichtet, daß sie in die Dunkelheit hinausleuchtete. »Er hat die ganze letzte Woche in der Luft gelegen«, sagte er, »der Schnee. Und jetzt fällt er ordentlich. Vielleicht schmilzt er wieder, aber er kann auch liegenbleiben. Die Winter hier oben sind unberechenbar. Und immer lang.«
Sie tranken Kaffee. Das Bürgerhaus war verlassen. Die Bibliothek hatte geschlossen.
»Ich glaube, es wird Zeit für mich, nach Östersund zurückzukehren«, sagte Giuseppe. »All das, was du mir erzählt hast, überzeugt mich noch mehr davon, daß wir die Sicherheitspolizei einschalten müssen.«
»Und die Informationen, die du von mir bekommen hast?« fragte Stefan vorsichtig.
»Es besteht immer die Möglichkeit, daß man sie anonym erhalten hat«, erwiderte Giuseppe. »Ich denke nicht daran, dir einen Strick daraus zu drehen, daß du die Wohnungstür dieses Nazis aufgebrochen hast.«
Es wurde Viertel nach zehn. Sie betrachteten die Situation, in der sie sich befanden, aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Schoben die Teile vor und zurück. Erst vor ein paar Stunden hatte Elsa Berggren eine
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