Die Rückkehr des Tanzlehrers
war und jetzt ihre Zeit damit verbrachte, sich auf den Tod vorzubereiten.
Sie gelangten in die Mitte des Schlachtfelds zwischen die roten und gelben Wimpel. Da blieb sie stehen und drehte sich zu ihm um. Sie wandte den Blick nicht ab, sie wartete. Er sah, daß sie stark geschminkt war, klein und mager. Ungeduldig stieß sie die Spitze ihres Regenschirms auf den Boden. »Verfolgen Sie mich? Wer sind Sie?«
»Ich heiße Stefan Lindman und komme aus Schweden. Ich bin Polizist, genau wie Sie es einmal waren.«
Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Sie müssen mit meinem Sohn gesprochen haben. Er ist der einzige, der weiß, daß ich hier bin.«
»Er war sehr freundlich.«
»Was wollen Sie von mir?«
»Sie haben einmal eine Stadt namens Boras in Schweden besucht. Es ist keine große Stadt, zwei Kirchen, zwei Plätze, ein schmutziger Fluß. Sie waren vor achtundzwanzig Jahren dort, im Herbst 1971. Sie trafen damals einen Polizeibeamten namens Herbert Molin. Im Jahr darauf besuchte er Sie in Dornoch.«
Sie betrachtete ihn schweigend. »Ich möchte gern meinen Weg fortsetzen«, sagte sie schließlich. »Ich will mich an den Gedanken gewöhnen, daß ich tot sein werde.«
Sie wandte sich zum Gehen. Stefan schloß neben ihr auf.
»Die andere Seite«, sagte sie. »Auf meiner Linken möchte ich niemanden haben.«
Er wechselte die Seite.
»Ist Herbert tot?« fragte sie plötzlich.
»Ja, er ist tot.«
Sie nickte. »So ist es, wenn man alt wird. Die Menschen glauben, die einzigen Neuigkeiten, die man sich wünsche, seien Todesnachrichten. Die Leute können sich wie Idioten gebärden, ohne es zu merken.«
»Herbert Molin ist ermordet worden.«
Sie zuckte zusammen und hielt inne. Stefan glaubte einen Moment lang, sie würde zusammenbrechen.
Doch dann ging sie weiter. »Und was ist passiert?«
»Seine Vergangenheit hat ihn eingeholt. Er wurde von einem Mann getötet, der etwas rächen wollte, was Molin während des Krieges getan hat.«
»Ist der Täter gefaßt worden?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Er ist entkommen. Wir wissen nicht einmal, wie er heißt. Er hat einen argentinischen Paß auf den Namen Hereira und wohnt vermutlich in Buenos Aires. Aber wir gehen davon aus, daß sein wirklicher Name ganz anders lautet.«
»Was hatte Herbert getan?«
»Er hatte einen jüdischen Tanzlehrer in Berlin getötet.«
Sie war wieder stehengeblieben. Ihr Blick schweifte über das Schlachtfeld. »Es war eine sehr eigentümliche Schlacht, die hier geschlagen wurde. Genaugenommen war es keine Schlacht. Das ganze war im Nu vorüber. Auf dieser Seite standen wir, die Schotten, auf der anderen Seite die Engländer. Sie schossen mit ihren Kanonen. Die Schotten starben in Scharen. Als sie schließlich gegen die Engländer stürmten, war es schon zu spät. In weniger als einer halben Stunde lagen Tausende von Toten und Verwundeten hier. Sie liegen hier noch immer.«
Sie ging weiter.
»Herbert Molin hat ein Tagebuch hinterlassen«, sagte Stefan. »Das meiste darin handelt vom Krieg. Er war Nazi und kämpfte als Freiwilliger auf der Seite Hitlers. Aber das wissen Sie vielleicht längst?«
Sie antwortete nicht. Die Schirmspitze stieß hart auf den Boden.
»Ich fand das Tagebuch in einen Regenmantel eingewickelt an dem Ort, wo er ermordet wurde. Ein Tagebuch, einige Fotos und Briefe. Das einzige, was er im Tagebuch ausführlich beschrieben hat, ist die Reise nach Dornoch, die er im Frühjahr 1972 gemacht hat. Da steht, er habe lange Spaziergänge mit >M< gemacht.«
Sie blickte ihn erstaunt an. »Hat er meinen Namen nicht ausgeschrieben?«
»Da steht nur >M<. Sonst nichts.«
»Und was hat er geschrieben?«
»Daß Sie lange Spaziergänge gemacht haben.«
»Und sonst?«
»Nichts.«
Sie ging wortlos weiter. Stefan wartete. Dann blieb sie wieder stehen. »An dieser Stelle ist einer meiner Verwandten gefallen«, sagte sie. »Ich entstamme dem Clan MacLeod, auch wenn ich seit meiner Heirat den Namen Simmons trage. Ich kann natürlich nicht sagen, ob Angus MacLeod genau an dieser Stelle starb. Aber ich habe beschlossen, daß es hier war. Genau hier. Nirgendwo sonst.«
»Ich habe mich natürlich gefragt«, sagte Stefan, »was damals war.«
Sie sah ihn verwundert an. »Er hatte sich in mich verliebt. Was natürlich eine große Dummheit war. Was hätte es sonst sein sollen? Männer sind Jäger, ob sie sich vornehmen, ein Tier zur Strecke zu bringen oder eine Frau. Er sah nicht einmal gut aus. Dicklich. Und ich war doch
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