Die Rückkehr des Tanzlehrers
fortgezogen.
Stefan dachte, daß er jetzt den gleichen Weg fuhr, den Molin gefahren war. Er folgte seinen Spuren, ohne etwas darüber zu wissen, warum Molin hinauf nach Norrland gezogen war.
Oder geflohen.
Am Abend kam Stefan nach Orsa. Er hielt an und aß ein fetttriefendes Beefsteak in einem Fernfahrerrestaurant. Dann rollte er sich auf dem Rücksitz des Wagens zusammen. Er war sehr müde und schlief sofort ein. Die Pflaster in der Armbeuge juckten. In seinen Träumen lief er durch eine endlose Reihe von dunklen Zimmern.
Er erwachte schon vor der Morgendämmerung. Am ganzen Körper steif und mit hämmernden Kopfschmerzen. Nachdem er sich aus dem Wagen gequält hatte und auf dem Parkplatz stand und pißte, merkte er, daß sein Atem dampfte wie Rauch. Der Kies unter seinen Füßen knirschte. Er sagte sich, daß die Temperatur unter oder knapp oberhalb von null Grad liegen mußte. Am Abend zuvor hatte er Kaffee in die Ther-moskanne gefüllt, die er mitgenommen hatte. Jetzt trank er, hinter dem Steuer sitzend, einen Becher. Ein Lastzug, der neben ihm gestanden hatte, startete plötzlich und verschwand in der Dunkelheit. Stefan schaltete das Autoradio ein und hörte die Frühnachrichten. Er merkte, daß er unruhig wurde. Tot zu sein würde auch bedeuten, nicht mehr Radio hören zu können.
Er legte die Thermoskanne auf den Rücksitz und ließ den Motor an. Er mußte noch ungefähr einhundert Kilometer bis Sveg fahren. Durch die langgestreckte Orsa Finnmark. Er rief sich in Erinnerung, daß er auf Elche gefaßt sein mußte, die die Straße überquerten. Es wurde langsam hell. Stefan dachte an Herbert Molin. Er versuchte alles durchzugehen, woran er sich erinnern konnte. Alle Gespräche, alle Begegnungen. Alle Zeiten, in denen nichts Besonderes passiert war. Was für Gewohnheiten hatte Molin gehabt? Hatte er überhaupt welche gehabt? Wann hatte er gelacht? Wann war er wütend geworden? Stefan merkte, daß er Schwierigkeiten hatte, sich zu erinnern. Das Bild von Herbert Molin war schwer greifbar. Genau wußte er nur, daß Herbert Molin Angst gehabt hatte.
Der Wald öffnete sich. Stefan überquerte den Ljusnan und erreichte Sveg. Der Ort war so klein, daß er ihn erst bemerkte, als er ihn schon fast durchfahren hatte. Er bog bei der Kirche nach links ab und entdeckte sogleich ein Hotel. Er hatte geglaubt, daß es nicht notwendig wäre, ein Zimmer zu reservieren, aber als er hineinkam, sagte das Mädchen in der Rezeption er habe Glück. Sie hatten noch ein Zimmer frei, weil jemand abbestellt hatte.
»Wer wohnt denn in Sveg im Hotel?« fragte er erstaunt.
»Werksfahrer«, erwiderte das Mädchen. »Die machen hier oben Testfahrten mit neuen Autotypen. Und Computerspezialisten.«
»Computerspezialisten?«
»Ziemlich viele in letzter Zeit«, sagte das Mädchen. »Aufgrund der neuen Unternehmen, die sich hier niederlassen. Es gibt nicht genug Wohnungen. Die Kommune hat nun davon gesprochen, Baracken aufzustellen.«
Dann fragte sie ihn, wie lange er bleiben wolle.
»Eine Woche«, sagte er, »vielleicht länger. Wenn es geht.«
Sie blätterte in ihrem Gästebuch. »Es geht unter Vorbehalt«, sagte sie. »Wir sind fast die ganze Zeit ausgebucht.«
Stefan brachte seinen Koffer ins Zimmer und ging dann in den Speisesaal, in dem ein Frühstücksbüfett aufgebaut war. An den Tischen saßen junge Männer. Viele von ihnen in Anzügen, die an Fliegeroveralls erinnerten. Nachdem er gegessen hatte, ging er in sein Zimmer, zog sich aus, riß die Pflaster aus der Armbeuge und duschte. Dann kroch er zwischen die Laken. Was tue ich hier, fragte er sich. Ich hätte nach Mallorca fahren können. Anstatt am Strand entlangzulaufen und aufs blaue Meer hinauszusehen, bin ich von einer endlosen Zahl von Bäumen umgeben.
Als er erwachte, wußte er zuerst nicht, wo er war. Er blieb im Bett liegen und versuchte, einen Plan zu machen. Aber er konnte keinen machen, bevor er nicht den Ort gesehen hatte, an dem Herbert Molin ermordet worden war. Am einfachsten wäre es natürlich, mit dem Kollegen in Östersund, Giuseppe Larsson, zu sprechen. Aber aus irgendeinem Grund wollte Stefan den Ort sehen, ohne daß jemand davon wußte. Er konnte später mit Giuseppe sprechen. Vielleicht sogar einen Besuch in Östersund machen. Außerdem hatte er während der Autofahrt darüber nachgegrübelt, ob es nicht auch in Sveg PolizeiBeamte gab. Oder kamen die Beamten aus Östersund wirklich hundertneunzig Kilometer hergefahren, um einen kleinen Einbruch zu
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