Die Rückkehr des Tanzlehrers
Aber bis zu dem Moment, als er an der Tür klingelte, war er unsicher gewesen. Er hatte kaum seine Jacke aufgehängt, als sie ihn schon fragte, was los sei.
»Ich bin krank«, hatte er geantwortet.
»Krank?«
»Ich habe Krebs.«
Dann gab es keine Zurückhaltung mehr. Jetzt konnte er ihr genausogut alles erzählen. Er hatte das Bedürfnis, sich jemandem anzuvertrauen. Und außer Elena gab es niemanden. Sie hatten in dieser Nacht lange zusammengesessen, und sie war klug genug gewesen, nicht zu versuchen, ihn zu trösten. Was er brauchte, war Mut. Sie hatte ihm einen Spiegel geholt und gesagt, daß er darin einen lebendigen Menschen sehen könnte. Keinen toten. Und so müßte er auch denken. Er war die Nacht über geblieben und hatte noch lange wach gelegen, nachdem sie eingeschlafen war. Im Morgengrauen war er vorsichtig aufgestanden, um sie nicht zu wecken, und hatte die Wohnung leise verlassen.
Die Ärztin hatte gesagt, daß sie heute mit den Probeentnahmen fertig würde. Er hatte gefragt, ob er verreisen könne, vielleicht ins Ausland, bevor die Behandlung begänne. Sie hatte geantwortet, er könne tun, wozu er Lust habe.
Er ging nicht auf direktem Weg in die Alleegata, sondern machte einen Umweg um den Ramnasjö. Er kehrte erst um, als er schon fast in Druvefors war. Als er nach Hause kam, trank er eine Tasse Kaffee und hörte den Anrufbeantworter ab. Elena hatte sich Sorgen gemacht, als sie aufgewacht war und ihn nicht mehr angetroffen hatte.
Kurz nach zehn Uhr ging er in ein Reisebüro in der Väster-langgata. Er setzte sich auf eine Bank und blätterte verschiedene Kataloge durch. Er hatte sich schon fast für Mallorca entschieden, als ihm plötzlich Herbert Molin in den Sinn kam. Auf einmal wußte er, was er tun würde. Er würde nicht nach Mallorca fahren. Dort würde er nur herumlaufen, ohne jemanden zu kennen, und darüber nachgrübeln, was passiert war und was passieren würde. Fuhr er statt dessen nach Härjeda-len, würde seine Isolation zwar nicht geringer sein, aber er würde sich mit etwas beschäftigen, was nichts mit ihm zu tun hatte. Was er genau machen würde, wußte er noch nicht. Er verließ das Reisebüro, ging in die Buchhandlung am Storatorg und kaufte eine Karte von Jämtland. Als er nach Hause kam, breitete er sie auf dem Küchentisch aus. Er glaubte, daß er in zwölf bis fünfzehn Stunden nach Härjedalen hinauffahren könnte. Wenn er müde war, würde er irgendwo unterwegs übernachten.
Am Nachmittag ging er noch einmal ins Krankenhaus, um die letzten Proben entnehmen zu lassen. Die Ärztin hatte ihm bereits einen Termin genannt, zu dem er zurückkommen und mit der Behandlung beginnen sollte. Er hatte ihn mit seiner üblichen krakeligen Schrift in seinem Kalender notiert, als gehe es um einen Urlaubstermin oder einen Geburtstag: Freitag 19. November, 8 Uhr 15.
Als er nach Hause kam, packte er seinen Koffer. Er schaltete im Fernsehen auf Videotext und sah, daß es in Östersund am folgenden Tag zwischen fünf und zehn Grad über Null sein würde. Er nahm an, daß es zwischen Östersund und Sveg keinen nennenswerten Unterschied gab. Bevor er ins Bett ging, nahm er sich vor, Elena zu erzählen, daß er verreisen wollte. Sie würde sich Sorgen machen, wenn er einfach so verschwände. Aber er schob es auf. Er würde sein Handy mitnehmen, und sie hatte die Nummer. Vielleicht wollte er, daß sie sich Sorgen machte? Als ob er sich an einer Unschuldigen dafür rächen wollte, daß er krank war.
Am folgenden Tag, Freitag, den 29. Oktober, war er früh aufgestanden und hatte Boras bereits vor acht Uhr verlassen. Vor der Abfahrt war er hinauf zu dem Haus am Brämhultsväg gefahren, in dem Herbert Molin gewohnt hatte. Zuweilen verheiratet, zuweilen allein. Aus diesem Haus war er weit nach Norden gezogen, als er in Pension gegangen war.
Stefan dachte an das Abschiedsfest zurück, das sie in der Kantine, ganz oben unter dem Dach des Polizeipräsidiums, für Molin gegeben hatten. Molin hatte nicht besonders viel getrunken. Er war vielleicht am nüchternsten von allen. Kriminalkommissar Nylund, der ein Jahr nach Molin pensioniert worden war, hatte eine Rede gehalten, aber Stefan erinnerte sich an kein einziges Wort. Das Fest war fade und hatte früh geendet. Molin hatte seine Kollegen nicht, wie es eigentlich üblich war, als Dank für das Fest, das sie für ihn ausgerichtet hatten, zu sich eingeladen. Er hatte das Polizeipräsidium verlassen und war ein paar Wochen später aus der Stadt
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