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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wenigen, was wir bisher über ihn wissen, geht hervor, daß er mit seinen Nachbarn in Kontakt stand und eine ganz andere Persönlichkeit war.«
    Sie kehrten zum Hotel zurück. Stefan merkte, wie sehr ihn Giuseppes plötzliche Betonung, daß er und die örtliche Polizei die Ermittlung in der Hand hielten, irritiert hatte. Er selbst stand wieder außerhalb. Es war ihm klar, daß diese Irritation gänzlich unangebracht war, aber das Gefühl war trotzdem vorhanden.
    »Was tust du jetzt?« fragte Giuseppe.
    Stefan zuckte mit den Schultern. »Ich reise ab.«
    Giuseppe zögerte. »Und wie geht es dir?«
    »Ich hatte neulich einen schlimmen Tag. Aber jetzt geht es wieder.«
    »Ich versuche mir vorzustellen, wie das ist, aber ich kann es nicht.«
    Sie standen an der Außentreppe des Hotels. Stefan betrachtete einen Spatzen, der auf einem Regenwurm herumhackte. Ich kann es mir selbst nicht vorstellen, dachte er. Ich glaube immer noch, daß das Ganze ein Alptraum ist. Daß ich mich nicht am neunzehnten November in Boras im Krankenhaus einfinden muß, um eine Strahlenbehandlung zu beginnen.
    »Bevor du fährst, möchte ich dich bitten, daß du mir diesen Zeltplatz zeigst.«
    Stefan dachte, daß er Sveg so schnell wie möglich verlassen wollte, aber er konnte kaum nein sagen. »Und wann?« fragte er.
    »Sofort.«
    Sie setzten sich in Giuseppes Wagen und fuhren in Richtung Linsell.
    »In diesem Teil des Landes sind die Wälder endlos«, sagte Giuseppe plötzlich und brach das Schweigen, das im Wagen herrschte. »Wenn man hier stehenbleibt und zehn Meter direkt zwischen die Bäume geht, befindet man sich in einer anderen Welt. Aber das weißt du vielleicht längst.«
    »Ich habe es ausprobiert.«
    »Ein Mensch wie Herbert Molin hat es mit seinen Erinnerungen im Wald vielleicht leichter. Niemand stört ihn. Die Zeit steht still, wenn man so will. Er kann da draußen im Wald den Hitlergruß gemacht haben und die Wege entlangmarschiert sein. Es lag keine Uniform an dem Platz, an dem du das Tagebuch gefunden hast?«
    »Er hat geschrieben, daß er desertiert ist. Während Berlin um ihn herum in Flammen stand, hat er die Uniform gegen Zivilkleidung getauscht, die er einer Leiche ausgezogen hat. Wenn ich das Tagebuch richtig verstanden habe, ist er am gleichen Tag fahnenflüchtig geworden, an dem Hitler sich im Bunker das Leben nimmt. Aber man kann wohl annehmen, daß Molin nichts davon gewußt hat.«
    »Ich glaube, man hat die Nachricht von Hitlers Selbstmord ein paar Tage zurückgehalten«, antwortete Giuseppe zögernd. »Dann hat jemand im Radio eine Rede gehalten und verkündet, daß der Führer auf seinem Posten gefallen ist. Aber es ist möglich, daß ich mich nicht richtig erinnere.«
    Sie bogen in den Seitenweg ein, der zu Herbert Molins Haus führte. Reste von Absperrband hatten sich in den Zweigen der Bäume verfangen.
    »Wir sollten vielleicht besser hinter uns aufräumen«, sagte Giuseppe mißmutig. »Schließlich haben wir das Haus jetzt der Tochter überlassen. Hast du sie gesehen?«
    »Nicht, seit wir uns im Hotel unterhalten haben.«
    »Eine sehr resolute Frau«, meinte Giuseppe. »Ich frage mich wirklich, ob sie die Geschichte ihres Vaters kennt. Das ist auf jeden Fall ein Punkt, über den ich mit ihr sprechen werde.«
    »Sie sollte sie wohl kennen.«
    »Sie schämt sich wahrscheinlich. Wer würde das nicht tun, wenn er einen Nazi zum Vater hätte?«
    Sie stiegen aus. Standen unbeweglich und lauschten dem Rauschen der Bäume. Dann ging Stefan voraus. Den Pfad zum See hinunter. Den gewellten Strand entlang. Zum Zeltplatz.
    Als sie ankamen, wußte er, daß jemand dagewesen war. Er blieb abrupt stehen.
    Giuseppe sah ihn fragend an. »Was ist?«
    »Ich glaube, daß nach mir jemand hiergewesen ist.«
    »Wieso? Ist etwas verändert?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Stefan betrachtete den Zeltplatz. Äußerlich wirkte alles, wie es beim letztenmal gewesen war. Dennoch war er sicher, daß nach ihm jemand hergekommen war. Etwas war anders. Giuseppe wartete. Stefan ging durch die Öffnung zwischen den Bäumen, kreiste den Zeltplatz mit den Blicken ein. Er drehte noch eine Runde. Da sah er, was es war. Er hatte auf dem umgestürzten Baumstamm gesessen und sich umgesehen. Dabei hatte er einen abgebrochenen Tannenzweig in den Händen gehalten. Als er aufgestanden war, hatte er ihn vor seinen Füßen auf den Boden fallen lassen. Jetzt lag der Zweig woanders. Weiter entfernt. Am Pfad, der zum See hinunter führte.
    »Es ist tatsächlich

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