Die Rückkehr des Tanzlehrers
daß er wegfahren wollte. Aaron konnte sich noch gut daran erinnern, wie es war, als er beschloß, daß die Zeit gekommen war. Es hatte an jenem Tag geregnet. Am Abend hatten sich die Wolken plötzlich verzogen, und er war zum See hinuntergegangen und in dem kalten Wasser geschwommen. Er hatte den Kopf völlig frei haben wollen, wenn er seinen Entschluß faßte. Hinterher hatte er im Schlafsack zusammengekauert dagesessen, damit die Wärme in seinen Körper zurückkehrte. Alle Waffen, die ihm bei seinem Einbruch auf dem Weg nach Härjedalen in die Hände gefallen waren, lagen vor ihm auf einem Plastiktuch.
Dann war die Zeit gekommen. Er war von einem seltsamen Zweifel erfaßt worden. Es war, als hätte er so lange gewartet, daß er nicht mehr wußte, was passieren sollte, wenn das Warten vorüber war. In Gedanken war er schon so viele Male zu den aufwühlenden Ereignissen des letzten Kriegsjahres zurückgekehrt, als sein ganzes Leben zusammengestürzt war, um nie wieder vollständig aufgebaut werden zu können. Er hatte oft an sich selbst als an ein Schiff gedacht, dessen Mast gebrochen und dessen Segel zerfetzt waren. So war sein Leben gewesen, und nichts von dem, was er zu tun beabsichtigte, würde ernsthaft etwas daran ändern. Er hatte sein ganzes Leben mit dem Gedanken an Rache verbracht, und manchmal hatte er dieses Gefühl mehr gehaßt als den Mann, gegen den sich sein Haß richtete. Aber auch wenn er es gewollt hätte, wäre es jetzt zu spät. Er konnte nicht unverrichteter Dinge nach Buenos Aires zurückkehren. Er hatte sich an jenem Abend entschlossen, nachdem er in dem dunklen See geschwommen war. In jener Nacht hatte er zugeschlagen und war dem Plan gefolgt, den er vorher gemacht hatte. Herbert Molin hatte zu keiner Zeit begreifen können, was über ihn gekommen war.
Er war der unebenen Uferkante gefolgt. Die ganze Zeit hatte er gelauscht. Aber da war nichts, außer dem Rauschen des Windes in den Bäumen, die ihn umgaben.
Als er zu der Stelle kam, an der sein Zelt gestanden hatte, dachte er, daß die Gewalt ihn nicht verändert hatte. Er war ein freundlicher Mann geblieben, dem es schwerfiel, Leiden zu ertragen. Daß er unter irgendwelchen anderen Umständen Gewalt gegen einen Menschen ausüben würde, war undenkbar. Was er Herbert Molin angetan hatte, war im gleichen Augenblick verschwunden, in dem er den entkleideten Leichnam am Waldrand zurückgelassen hatte.
Die Gewalt hat mich nicht vergiftet, dachte er. Der ganze Haß, der sich in all den Jahren in mir aufgestaut hat, hat mich betäubt. Ich bin es gewesen, der Herbert Molins Haut zu Fetzen gepeitscht hat, und ich war es doch wieder nicht.
Er setzte sich auf den umgestürzten Baumstamm und drehte einen Tannenzweig in den Händen. Hatte der Haß ihn jetzt verlassen? Würde er seinen Frieden haben in den Jahren, die ihm noch blieben? Er wußte es nicht, aber er hoffte es zumindest. Er hatte sich sogar vorgenommen, in der kleinen Kirche, an der er auf dem Weg zu seiner Werkstatt täglich vorüberkam, eine Kerze für Herbert Molin anzuzünden. Vielleicht würde er sogar auf Herbert Molin trinken können? Jetzt, da er tot war?
Er blieb im Wald, bis es zu dämmern begann. Der Gedanke von vorhin, als er dort sein Zelt aufgeschlagen hatte, war wiedergekehrt. Der Wald war eine Kathedrale. Die Bäume hohe Säulen, die ein unsichtbares Dach trugen. Auch wenn er fror, war er von einer großen Ruhe erfüllt. Wenn er ein Handtuch mitgehabt hätte, wäre er in das kalte Wasser gestiegen und hinausgeschwommen, bis er keinen Grund mehr unter den Füßen gehabt hätte.
Bei Einbruch der Dämmerung kehrte er zu seinem Wagen zurück und fuhr weiter nach Sveg. Dort war etwas Sonderbares passiert, als er im Speisesaal eines Hotels zu Abend aß. An einem der benachbarten Tische saßen zwei Männer, die über Herbert Molin und Abraham Andersson sprachen. Zuerst glaubte er, daß es Einbildung wäre. Er verstand kein Schwedisch, aber die Namen hatten sich ständig wiederholt. Nach einer Weile war er in die Rezeption gegangen, und weil dort niemand war, hatte er im Gästebuch sehen können, daß sich zwei der Hotelgäste als »Kriminalinspektoren« eingetragen hatten. Er war in den Speisesaal zurückgekehrt. Keiner der beiden hatte ihn beachtet. Er lauschte gespannt und konnte noch weitere Namen aufschnappen. Unter anderem den Namen Elsa Berggren. Dann sah er, wie einer der Polizisten etwas auf die Rückseite seiner Rechnung schrieb. Als sie gingen, hatte der Mann das
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