Die Rückkehr des Tanzlehrers
jemand hiergewesen«, sagte Stefan. »Jemand, der hier auf dem Baumstamm gesessen hat.«
Er wies auf den Zweig und erzählte, was es damit auf sich hatte.
»Kann man von einem Zweig Fingerabdrücke nehmen?« fragte er.
»Sehr gut möglich«, antwortete Giuseppe und holte eine Plastiktüte aus der Tasche. »Man kann es auf jeden Fall versuchen. Bist du dir sicher?«
Stefan nickte. Er erinnerte sich daran, wohin er den Zweig gelegt hatte. Jetzt lag er woanders. Er konnte jemanden dort auf dem Baumstamm sitzen sehen. Sich nach dem Zweig vorbeugen und ihn dann fallen lassen. Genau, wie er selbst es getan hatte.
»Dann rufen wir doch eine Hundestreife her«, meinte Giuseppe und holte sein Handy aus der Tasche.
Stefan sah in den Wald. Plötzlich hatte er das Gefühl, daß jemand in ihrer unmittelbaren Nähe war. Jemand, der sie beobachtete.
Gleichzeitig dachte er, daß er sich an etwas erinnern müßte. Etwas, was mit Giuseppe zu tun hatte. Er suchte im Kopf danach, ohne die Erinnerung greifen zu können.
Giuseppe horchte ins Telefon, stellte ein paar Fragen, forderte eine Hundestreife an und beendete das Gespräch.
»Merkwürdig«, sagte er.
»Was ist merkwürdig?«
»Abraham Anderssons Hund ist weg.«
»Wie, weg?«
Giuseppe schüttelte den Kopf. »Weg. Er ist ganz einfach verschwunden. Obwohl es dort von Polizisten nur so wimmelt.«
Sie sahen einander fragend an. Ein Vogel flog von einem Zweig auf und verschwand auf den See hinaus. Schweigend folgten sie ihm mit den Blicken, bis er nicht mehr zu sehen war.
Aaron Silberstein lag auf einem Felsvorsprung, von dem aus er einen guten Blick auf Abraham Anderssons Haus hatte. Er richtete sein Fernglas auf den Hof, der unter ihm lag. Er zählte drei Streifenwagen, zwei Kastenwagen und drei Privatautos. Dann und wann kam jemand in einem Overall aus dem Wald. Ihm wurde klar, daß Abraham Andersson dort ermordet worden war. Der Einsicht entzogen. Aber noch konnte er nicht dorthin. Er würde es im Laufe der Nacht versuchen.
Er ließ das Glas über den Hofplatz gleiten. Ein Hund von der gleichen Rasse wie der, den er bei Herbert Molin hatte töten müssen, stand an eine Kette gebunden da, die zwischen dem Haus und einem Baum verlief. Plötzlich kam ihm der Gedanke, daß es vielleicht zwei Hunde aus dem gleichen Wurf waren oder daß sie zumindest der gleichen Abstammung waren. Der Gedanke an den Hund, dem er die Kehle durchgeschnitten hatte, bereitete ihm Übelkeit. Er senkte das Fernglas, legte sich auf den Rücken und atmete ein paarmal tief durch. Es duftete nach feuchtem Moos. Über seinem Kopf zogen die Wolken vorüber.
Ich bin wahnsinnig, dachte er. Ich hätte jetzt in Buenos Aires sein sollen, nicht in dieser schwedischen Einöde. Maria hätte sich gefreut, wenn ich zurückgekommen wäre. Vielleicht hätten wir sogar miteinander geschlafen. Wie auch immer, ich hätte eine gute Nacht verbracht und am Morgen meine Werkstatt wieder geöffnet. Don Antonio hat sicher mit wachsender Verärgerung anzurufen versucht und sich gewundert, warum der Stuhl, den er vor drei Monaten bei mir abgegeben hat, immer noch nicht fertig ist.
Hätte er bloß nicht zufällig neben einem schwedischen Seemann in einem Restaurant in Malmö gesessen. Einem Seemann, der auch noch Spanisch sprechen und verstehen konnte. Und wäre nur der verdammte Fernseher nicht angewesen und hätte ihm das Gesicht eines toten alten Mannes gezeigt. Dann hätte er nicht erleben müssen, wie seine Pläne allesamt über den Haufen geworfen wurden. Dann könnte er sich jetzt auf einen Abend im La Cabana freuen.
Vor allem hätte er sich nicht daran erinnern müssen, was geschehen war.
Er hatte gehofft, daß es endlich vorbei wäre, was ihn sein ganzes Leben hindurch verfolgt hatte. Die Jahre, die er noch vor sich hatte, sollten so werden, wie er sie sich erträumt hatte. Geprägt von großer Ruhe.
In einem einzigen Augenblick, durch ein einziges Bild hatte sich alles verändert.
Er hatte das Restaurant und den schwedischen Seemann verlassen. Als er in sein Hotelzimmer gekommen war, hatte er sich auf die Bettkante gesetzt und war dort sitzen geblieben, bis er einen Entschluß gefaßt hatte. Im Morgengrauen hatte er ein Taxi zum Flughafen genommen, der zwanzig Kilometer stadtauswärts lag. Eine freundliche Frau war ihm behilflich gewesen, ein Flugticket nach Östersund zu kaufen. Dort hatte ein Mietwagen auf ihn gewartet. Er war in die Stadt gefahren und hatte noch einmal ein Zelt und einen Schlafsack,
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