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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hatte?«
    »Er war ein passionierter Tänzer. Er tanzte sehr gut. Er hat oft geübt, und dafür brauchte er die Puppe. Er hatte einmal davon geträumt, Tänzer zu werden. Aber er tat seine Pflicht, als die Fahnen ihn riefen.«
    Wie altmodisch und hochtrabend sie redet, dachte Stefan. Als versuche sie, die Zeit zu beschwören, sich zurückzudrehen in die dreißiger und vierziger Jahre.
    »Ich nehme an, es haben nur wenige gewußt, daß Herbert Molin gern tanzte?«
    »Er hatte nicht viele Freunde. Wie oft soll ich das noch wiederholen.«
    Giuseppe strich sich über die Nase, während er die nächste Frage formulierte. »Hat er sich immer schon für das Tanzen interessiert?«
    »Ich glaube, sein Interesse wurde während des Krieges geweckt. Oder kurz davor.«
    »Warum glauben Sie das?«
    »Er hat es einmal gesagt.«
    »Was hat er gesagt?«
    »Genau das, was ich gerade gesagt habe. Der Krieg war hart, aber manchmal hatte er Urlaub. Die deutsche Wehrmacht hat sich sehr gut um ihre Soldaten gekümmert. Wenn die Möglichkeit bestand, bekamen sie Urlaub, und alles wurde bezahlt.«
    »Hat er häufig vom Krieg gesprochen?«
    »Nein. Aber mein Vater hat es getan. Einmal hatten sie eine Woche gleichzeitig frei. Da sind sie nach Berlin gefahren. Mein Vater hat erzählt, daß Herbert jeden Abend ausgehen und tanzen wollte. Ich glaube, es ist so gewesen, daß Herbert immer sofort zum Tanzen nach Berlin gefahren ist, sobald er die Front verlassen konnte.«
    Giuseppe schwieg eine Weile, bevor er weiterging. »Haben Sie noch etwas zu sagen, was uns, Ihrer Meinung nach, helfen könnte?«
    »Nein. Aber ich will, daß Sie den Mörder fassen. Auch wenn er nicht spürbar bestraft werden wird. In Schweden schützt man die Verbrecher, nicht die Opfer. Es wird natürlich breitgetreten werden, daß Herbert seinen Idealen treu geblieben ist. Herbert wird verurteilt werden, obwohl er von uns gegangen ist. Aber ich will trotzdem, daß Sie denjenigen, der ihn getötet hat, finden. Ich will wissen, wer es war.«
    »Dann haben wir vorläufig keine weiteren Fragen. Doch Sie werden sicher noch zu anderen Vernehmungen gerufen werden.«
    »Stehe ich unter irgendeinem Verdacht?«
    »Nein.«
    »Dürfte ich dann erfahren, woher Sie gewußt haben, daß in meinem Kleiderschrank eine Uniform hängt?«
    »Ein andermal«, sagte Giuseppe und stand auf.
    Sie ging mit ihnen hinaus in den Flur.
    »Ich muß schon sagen, Ihre Ansichten grenzen ans Unerträgliche«, sagte Giuseppe, als er durch die Haustür getreten war.
    »Für Schweden gibt es keine Rettung mehr«, antwortete sie. »Als ich jung war, konnte man Polizisten treffen, die politisch bewußt waren und unsere Ideale hochhielten. Aber damit ist es wohl vorbei.«
    Sie schloß die Tür. Giuseppe hatte es eilig, sich von ihrem Haus zu entfernen. »Wirklich eine entsetzliche Person«, sagte er, als sie zum Gartentor gekommen waren. »Ich hätte ihr am liebsten eine Ohrfeige gegeben.«
    »Es gibt bestimmt mehr Menschen, die ihre Auffassungen teilen, als man glaubt«, erwiderte Stefan.
    Sie gingen schweigend zum Hotel zurück. Plötzlich blieb Giuseppe stehen. »Was hat sie eigentlich über Herbert Molin gesagt?«
    »Daß er sein Leben lang Nazi gewesen ist.«
    »Und das bedeutet?«
    Stefan schüttelte den Kopf.
    »Sie hat also gesagt«, wiederholte Giuseppe, »daß Herbert Molin bis zu seinem Tod ein Mensch mit entsetzlichen Ansichten war. Ich habe sein Tagebuch nicht im Detail gelesen, aber du hast es. Man kann sich nun fragen, was er eigentlich in Deutschland getan hat. Und man kann sich fragen, ob es nicht viele Menschen gegeben haben kann, die ihm den Tod gewünscht haben.«
    »Trotzdem habe ich meine Zweifel«, antwortete Stefan. »Der Zweite Weltkrieg ist vor vierundfünfzig Jahren zu Ende gegangen. Das wäre eine lange Wartezeit.«
    Giuseppe war nicht überzeugt. »Vielleicht«, sagte er nur. »Vielleicht.«
    Sie gingen weiter. Als sie das Gerichtsgebäude hinter sich gelassen hatten, blieb Stefan stehen. »Was passiert, wenn man das Ganze umdreht? Bisher gehen wir davon aus, daß alles mit Herbert Molin begann, weil er als erster getötet wurde. Doch was geschieht, wenn es umgekehrt ist? Wenn wir uns eigentlich auf Abraham Andersson konzentrieren sollten?«
    »Nicht wir«, erwiderte Giuseppe, »ich. Ich halte natürlich auch diese Möglichkeit offen, aber sie ist kaum wahrscheinlich. Abraham Andersson ist aus ganz anderen Gründen hierhergezogen als Herbert Molin. Er hat sich nicht versteckt. Aus dem

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