Die Rückkehr des Tanzlehrers
getan hatte. Zu fliehen, zu verschwinden, sich zu verstecken und das, was geschehen war, zu vergessen. Nicht in einem Wald, sondern in Buenos Aires. Er hätte nicht zurückkommen sollen. Aber jetzt war es zu spät. Er würde nicht umkehren, bevor er nicht Klarheit darüber gewonnen hatte, was mit Abraham Andersson passiert war. Es ist Herbert Molins Rache an mir, dachte er, und der Gedanke machte ihn wütend. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte er nicht gezögert, ihn ein zweites Mal zu töten.
Dann zwang er sich zur Ruhe. Er holte ein paarmal tief Luft und dachte an Wellen, die gegen einen Strand schlugen. Nach einer Weile sah er auf die Uhr. Viertel nach eins. Es wurde Zeit. Er kehrte zum Hofplatz zurück. Jetzt hörte er aus dem Innern des Hauses Musik und ein paar Stimmen, die ein gedämpftes Gespräch führten. Vermutlich lief das Radio, und zwei müde Polizisten hielten sich dadurch wach, daß sie miteinander redeten. Er näherte sich vorsichtig dem Hund und rief ihn mit verhaltener Stimme. Der Hund knurrte leise, wedelte aber gleichzeitig mit dem Schwanz. Der Mann vermied es, sich in den Lichtschein zu stellen, der aus dem Fenster fiel. Der Hund kam zu ihm in den Schatten. Er streichelte ihn. Der Hund sah unruhig aus, wedelte aber weiter.
Da löste er die Hundeleine von der Kette und nahm das Tier mit.
In der Dunkelheit hinterließen sie keine Spuren.
Stefan hatte schon zahllose Male gesehen, wie ein Polizist auf eine unerwartete Nachricht reagierte. Er griff als erstes zum Telefon. Giuseppe aber hatte bereits ein Handy in der Hand, und es war auch nicht nötig, jemanden anzurufen.
Stefan und Giuseppe sahen ein, daß sie auf das Verschwinden des Hundes reagieren mußten. Es konnte zu einem Durchbruch in der Ermittlung führen. Es konnte aber auch, was wesentlich wahrscheinlicher war, eine Nebenspur sein.
»Ist es nicht denkbar, daß er einfach weggelaufen ist?« fragte Stefan.
»Es sieht nicht so aus.«
»Könnte ihn jemand gestohlen haben?«
Giuseppe schüttelte zweifelnd den Kopf. »Direkt vor der Nase von so vielen Polizisten? Daran kann ich nicht glauben.«
»Aber es ist doch ebensowenig vorstellbar, daß der Täter zurückgekehrt ist, um den Hund zu holen.«
»Wenn wir es nicht mit einem Wahnsinnigen zu tun haben. Und da können wir keineswegs sicher sein.«
Sie erwogen schweigend die verschiedenen Möglichkeiten.
»Wir müssen abwarten«, sagte Giuseppe schließlich. »Wir dürfen uns nicht auf diese Sache mit dem Hund versteifen. Außerdem taucht er sicher wieder auf. Hunde haben das so an sich.«
Giuseppe steckte sein Handy in die Jackentasche und ging zu Molins Haus zurück. Stefan blieb stehen. Es war schon viele Stunden her, seit er zuletzt an seine Krankheit gedacht hatte. Seit er die schleichende Angst davor gespürt hatte, daß die Schmerzen zurückkommen würden. Als er Giuseppe seines Weges gehen sah, kam es ihm plötzlich vor, als würde er allein gelassen.
Einmal, als er sehr klein gewesen war, hatte er sich zusammen mit seinem Vater auf Ryavallen in Boras ein Fußballspiel angesehen. Es war ein Spiel der ersten Liga. Auf unklare Weise wichtig, vielleicht entscheidend für die Meisterschaft. Und er hatte mitgedurft. Er hatte gewußt, daß die gegnerische Mannschaft der IFK Göteborg sein würde. Sein Vater hatte gesagt: »Ein Sieg muß her.« Immer wieder auf der Autofahrt zwischen Kinna und Boras hatte er den Satz wiederholt: »Ein Sieg muß her.« Als sie den Wagen vor dem Stadion geparkt hatten, kaufte sein Vater ihm einen gelb-schwarzen Schal. Stefan hatte manchmal gedacht, daß der Schal und nicht das Spiel an sich sein Interesse für Fußball geweckt hatte. Das Menschengewimmel hatte ihm angst gemacht, und er hatte krampfhaft die Hand seines Vaters festgehalten, als sie auf einen der Eingänge zusteuerten. Im Gedränge hatte er sich ganz darauf konzentriert, die Hand des Vaters festzuhalten. Es war der Unterschied zwischen Leben und Tod. Wenn er die Hand seines Vaters losgelassen hätte, wäre er inmitten all der erwartungsvollen Menschen, die ins Stadion drängten, hoffnungslos verloren gewesen. Und gerade da, unmittelbar vor dem Drehkreuz, hatte er zu seinem Vater hinaufgeschaut und ein fremdes Gesicht entdeckt. Auch die Hand war fremd, als er nachgesehen hatte. Er hatte, ohne es zu merken, seinen Vater für ein paar Sekunden losgelassen und dann eine falsche Hand ergriffen. Seine Panik war total gewesen. Er hatte angefangen zu heulen, und Menschen hatten sich
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