Die Rückkehr des Tanzlehrers
in Boras verlassen und sich in einem Bau verkrochen, in dem ihn schließlich jemand aufgespürt hatte. Stefan war überzeugt davon, daß Herbert Molin sich dessen bewußt gewesen war, daß jemand nach ihm suchte.
Irgend etwas ist während des Krieges in Deutschland passiert, dachte er. Irgend etwas, wovon nichts im Tagebuch steht. Oder es ist so geschrieben worden, daß ich es nicht entschlüsseln kann. Es gibt da auch diese Reise nach Schottland und die langen Spaziergänge mit »M«. Irgendwie hängt das vielleicht alles mit dem zusammen, was damals in Deutschland geschehen ist. Aber jetzt verlasse ich Sveg. Giuseppe Larsson ist ein Mann mit großer Erfahrung. Ein tüchtiger Kriminalbeamter. Eines Tages werden er und seine Kollegen den Fall lösen.
Werde ich überhaupt lange genug leben, um die Antwort zu erfahren? fragte er sich plötzlich. Er konnte die Gedanken daran nicht länger von sich schieben. Die Behandlung, die in zwei Wochen beginnen sollte, würde nicht ausreichen. Die Ärztin hatte gesagt, daß sie Zellgifte einsetzen würden, wenn die Bestrahlungen und die Operation nicht den gewünschten Effekt erzielten. Es gab auch noch viele andere medizinische Möglichkeiten, zu denen sie greifen konnten. An Krebs zu erkranken war nicht mehr gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Aber es war auch nicht selbstverständlich, daß man geheilt wurde. In einem Jahr konnte er tot sein. Das mußte er begreifen, wie unerträglich der Gedanke auch sein mochte.
Die Angst schlug wieder ihre Klauen in ihn. Wenn er gekonnt hätte, wäre er vor sich davongelaufen.
Giuseppe trat zu ihm.
»Ich fahre jetzt«, sagte Stefan.
Giuseppe sah ihn forschend an. »Du bist mir eine große Hilfe gewesen«, sagte er, »und ich frage mich natürlich, wie es dir geht.«
Stefan zuckte mit den Schultern, ohne etwas zu sagen.
Giuseppe streckte ihm die Hand hin. »Willst du, daß ich von mir hören lasse und dir erzähle, wie es weitergeht?« fragte er.
Stefan dachte nach, bevor er antwortete. Was wollte er eigentlich, außer gesund werden? »Es ist besser, wenn ich mich melde«, antwortete er. »Ich weiß nicht, wie es mir geht, wenn die Behandlung beginnt.«
Sie schüttelten sich die Hände. Stefan dachte, daß Giuseppe Larsson ein Mann war, den er mochte, obwohl er eigentlich nichts über ihn wußte.
Dann fiel ihm plötzlich ein, daß sein Wagen noch in Sveg stand.
»Ich würde dich natürlich zum Hotel fahren«, sagte Giuseppe, »aber ich möchte noch eine Weile hierbleiben und auf Näsblom warten. Ich werde Persson bitten, daß er dich fährt.«
Der Beamte namens Persson war ein schweigsamer Mann. Stefan sah durch die Windschutzscheibe auf die Bäume und dachte, daß er Veronica Molin noch einmal hätte treffen wollen. Er hätte ihr Fragen über das, was er im Tagebuch ihres Vaters gelesen hatte, stellen wollen. Was wußte sie über die Vergangenheit ihres Vaters? Wo war ihr Bruder? Warum war er nicht aufgetaucht?
Persson setzte ihn vor dem Hotel ab. Das Mädchen in der Rezeption lächelte, als er eintrat.
»Ich reise jetzt ab.«
»Es kann aber zum Abend hin kalt werden«, sagte sie. »Kalt und vielleicht auch glatt.«
»Ich werde vorsichtig fahren.«
Er ging auf sein Zimmer, packte seine Sachen zusammen und verließ den Raum. Als er die Tür zuschlug, hatte er schon vergessen, wie das Zimmer aussah. Er bezahlte seine Rechnung, ohne sie zu kontrollieren.
»Kommen Sie gern einmal wieder«, sagte sie, als er bezahlt hatte. »Wie wird es gehen? Werden sie den Mörder fassen?«
»Das wollen wir hoffen.«
Stefan verließ das Hotel. Es war kalt. Er stellte den Koffer in den Wagen und wollte sich gerade hinters Steuer setzen, als er Veronica Molin durch die Hoteltür treten sah. Sie kam auf ihn zu.
»Ich habe gehört, Sie wollen abreisen?«
»Von wem?«
»Von dem Mädchen in der Rezeption.«
»Heißt das, daß Sie nach mir gefragt haben?«
»Ja.«
»Warum?«
»Ich möchte selbstverständlich wissen, wie es mit der Ermittlung aussieht.«
»Danach sollten Sie nicht mich fragen.«
»Giuseppe Larsson meinte das aber. Ich habe gerade mit ihm telefoniert. Er sagte, daß Sie vielleicht noch da wären. Und ich habe Glück.«
Stefan schlug die Wagentür zu und ging mit ihr zurück ins Hotel. Sie setzten sich in den Speisesaal, der gerade leer war.
»Giuseppe Larsson sagte, daß Sie ein Tagebuch gefunden haben. Stimmt das?«
»Das ist richtig«, antwortete Stefan. »Ich habe darin geblättert. Wenn es freigegeben wird,
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