Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08
Zwecke ideal gewesen: Sie hatte Lindens Urteilsfähigkeit getrübt, sie verwundbar gemacht. Nie mehr, schwor Linden sich. Nie wieder. Einmal war sie auf die Machenschaften des Verächters hereingefallen. Einmal war genug. Stattdessen würde sie ihn für Jeremiahs Folterqualen büßen lassen.
Aber sie eilte zu weit voraus. Ihre mit der Mahdoubt in der Würgerkluft verbrachte Nacht hatte sie etwas Wichtiges gelehrt – oder wieder gelehrt. Einen Schritt nach dem anderen. Immer nur einen. Als Erstes musste sie die Einzelheiten ihrer gegenwärtigen Situation in sich aufnehmen. Und sie musste sich ihren Stab wieder verschaffen, um die dämpfende Wirkung von Kevins Schmutz abschütteln zu können. Über alles Weitere konnte sie später entscheiden, wenn sie wieder wirklich bei Kräften war. Blinzelnd sah sie sich um.
Seltsam, dachte sie kurz darauf, als ihr Blick durch einen kleinen Raum wanderte, den sie recht gut kannte und der ihr zugleich irreal erschien – entfremdet durch allzu lange Zeit, allzu viel Kälte und Verzweiflung, Kämpfe und Verluste. Sie lag unter Decken in einem schmalen Bett. Ihr Kopf ruhte auf einem Kissen. Ein durch Fensterläden geschlossenes Fenster in der glatten Steinwand über ihr ließ trübes graues Licht einfallen, das Morgen- oder Abendlicht sein konnte. Durch die halb offene Tür am Fußende des Betts fiel sanft flackerndes gelbliches Licht, das an Lampen oder ein Kaminfeuer denken ließ, in den Raum. Neben Lindens Kopf führte eine weitere Tür ins Bad.
Dieser Raum schien mit der Kammer identisch zu sein, in der sie zwei Nächte verbracht hatte, ehe Roger und der Croyel sie in eine andere Zeit entführt hatten. Linden erinnerte sich an sie, als sei sie im Traum, nicht im richtigen Leben in dieser Kammer gewesen. Doch wie um die Kontinuität ihrer Existenz zu beweisen, lehnte der Stab des Gesetzes mit seinem rabenschwarzen Holz am Kopfende ihres Betts an der Wand. Und auf einem Stuhl am Fußende saß die Mahdoubt, die sie mit einem Lächeln auf den Lippen und einem Leuchten in ihren verschiedenfarbigen Augen beobachtete.
Als Linden den Kopf hob, erhob die Mahdoubt sich, verschwand nach nebenan und kam mit einer Öllampe und einem Keramikbecher zurück. Die trotz ihrer Unstetigkeit beruhigende kleine Flamme betonte ihr orangerotes Auge, während sie das fast violette Blau des anderen dämpfte. Auch das buntscheckige Flickwerk ihrer Robe verschwamm zu einer harmonischeren Mischung.
»Sprich noch nicht, Lady«, murmelte sie, als sie ans Bett trat. »Du hast lange, sehr lange geschlafen und bist benommen und verwirrt aufgewacht. Hier ist belebendes Heilwasser aus dem See Glimmermere.« Sie bot Linden den Becher an. »Hat seine segensreiche Wirkung etwas nachgelassen? Gewisslich. Trotzdem hat es sich viel von seiner Heilkraft bewahrt. Trink, Lady«, drängte sie. »Dann kannst du sprechen und ins Leben zurückkehren.«
Aber Linden brauchte keine Ermutigung. Sobald sie den Becher sah, wurde ihr bewusst, wie durstig sie war. Sie richtete sich auf einem Ellbogen auf, nahm den Becher entgegen und leerte ihn mit einem Zug. Ohne ihren Gesundheitssinn konnte sie nicht feststellen, um wie viel die Kraft des Seewassers verringert war. Trotzdem war es ein Segen für Mund und Kehle, Balsam für ihren Durst. Und es weckte Linden endlich ganz. Ein numinoses Kribbeln schärfte ihre Sinne und erinnerte sie an eine grundlegendere Wahrnehmungsgabe. Sofort ließ sie den Becher auf das Bett fallen, setzte sich auf und griff nach dem Stab.
Sobald ihre Hände sich um die vertraute Wärme des Holzes schlossen, in dem ihre Finger die klare Präzision der Runen des Forsthüters ertasteten, spürte sie die Rückkehr zu einem vollständigeren Leben. Von einem Herzschlag zum anderen hörte der Stein der kleinen Kammer auf, blinder Granit zu sein, und verwandelte sich in einen vitalen, atmenden Aspekt von Herrenhöh. Linden nahm die Wärme und den Feuerschein des offenen Kamins in dem größeren Gemach wahr und roch Wasser, das im Bad nebenan bereitstand. Jeder Quadratzentimeter ihrer Haut und ihrer Kopfhaut war sich seiner Sauberkeit bewusst, und die behagliche Gelassenheit der Aura der Mahdoubt umspülte sie wie ein beruhigendes Bad. Den Stab an die nackte Brust gedrückt, griff Linden nach dem Becher und streckte ihn der Alten mit der stummen Bitte hin, ihr Heilwasser aus dem Glimmermere nachzuschenken.
Einmal mehr nickte die Mahdoubt, und als sie diesmal aus dem Wohngemach zurückkam, brachte sie nicht nur den
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