Die Rückkehr nach Atlantis ("Alantis"-Trilogie) (German Edition)
schlichen den Gang entlang, bis sie die letzte Tür erreichten. Mario sah deutlich die Wasserlinie am Mauerwerk. So hoch war die Flut schon gestiegen! Bestimmt mussten die Gefangenen in ihren Kerkern dann im kalten Wasser knien – eine besondere Art der Folter. Mario spürte, wie sich sein Magen zusammenzog.
Fenolf holte den Schlüssel aus seiner Manteltasche und steckte ihn ins Schloss. Es knarrte, als er den Schlüssel umdrehte. Dann stieß er die Tür auf.
Zuerst hielt Mario das Verlies für leer. Nichts rührte sich. Im Schein seiner Finger sah Mario nur den Schmutz und Unrat auf dem Boden.
»Hallo?«, fragte Fenolf mit gedämpfter Stimme. »Ist da jemand? Talita?«
Mario hob die Hände, um den Kerker besser auszuleuchten. Da entdeckte er an der Wand eine menschliche Gestalt, die sich gerade zum Sitzen aufrichtete.
Eine brüchige Frauenstimme begann in einer Art Singsang zu reden:
»Ich sehe, du bist gekommen.
Jetzt sind die Tage von Atlantis gezählt.
Denn Ungerechtigkeit erfordert Strafe
und Maßlosigkeit wird verfolgt.
Wenn es zum großen Kampf kommt,
ist es Zeit zu fliehen.«
»Wer bist du?«, fragte Fenolf, während Mario ein Schauder überlief. Ihm war bei den Worten der Frau unheimlich geworden. Woher konnte sie etwas von dem drohenden Untergang von Atlantis wissen?
»Ich bin Saskandra, die blinde Seherin«, antwortete die Frau und bemühte sich, auf die Beine zu kommen. »Und du bist Fenolf, Wesir und Vertrauter Zaidons. Ich erkenne dich an der Stimme. Warum kommst du? Ist es Zeit, mich zu töten? Aber wer ist der Junge an deiner Seite?« Ihr Tonfall schlug um und wurde wieder monoton.
»Es ist der lange Erwartete und Gefürchtete,
ein Fremder, der nicht hierher gehört.
Er ist gekommen,
um nach Zaidons Frevel zu suchen.
Denn was gestern geschah,
hat morgen schlimme Folgen.
Vergangenheit und Zukunft
sind untrennbar.
Seine Ankunft ist das Zeichen,
dass bald das Unvermeidliche geschieht.«
Jetzt hatte Saskandra es geschafft, sich zu erheben. Doch dann ruderte sie mit den Armen und schien das Gleichgewicht zu verlieren. Fenolf stürzte zu ihr und fing sie auf, bevor sie fiel.
Nun hörte Mario ein Stöhnen, das aus der anderen Ecke des Kerkers kam.
»Wer … wer ist da?«, fragte eine helle Mädchenstimme.
»Talita?« Mario machte ein paar Schritte in das Verlies. Eine Ratte huschte über seinen Fuß. Dann sah er Talita an der Wand kauern. Sie war in einem elenden Zustand.
»Mario, bist du es wirklich?«
Mit zwei Schritten war er bei ihr und half ihr, aufzustehen. Talitas Hände waren eiskalt, als sie sich an seine Arme klammerte.
»Warum … warum leuchten deine Finger?«
Mario lachte kurz auf. »Keine Ahnung.« Diesen chemischen Vorgang würde kein Wissenschaftler der Welt erklären können. »Wahrscheinlich Magie«, fügte er hinzu.
»Ich dachte schon, ich müsste hier sterben«, murmelte Talita. »Saskandra hatte recht, sie sagte, dass du kommen wirst … Ich hab’s nicht geglaubt …«
»Wir bringen dich hier raus«, sagte Mario aufgeregt. »Es gibt Kanäle, die führen nach draußen. Fenolf hat sich den Schlüssel besorgt und …«
»Wir müssen Saskandra auch mitnehmen«, unterbrach Fenolf ihn. »Ich werde sie jedenfalls nicht hier zurücklassen. Sie ist sehr schwach. Ich hoffe, dass sie es schafft!«
Er stützte die alte Seherin. »Könnt Ihr laufen, Saskandra? Versucht es wenigstens. Ich halte Euch!«
Saskandra machte mühsam einen unsicheren Schritt. »Ich glaube, meine Füße wollen nicht so recht …«
Fenolf hob Saskandra mit einem Ruck hoch und legte sie über seine Schulter. »Dann werde ich Euch tragen.«
»Ich bin eine zu große Last«, protestierte Saskandra. »Lass mich hier. Ich bin alt, der Tod wird bald kommen … so oder so.«
»Kommt gar nicht infrage«, sagte Fenolf. »Wir lassen Euch nicht hier zurück, auf gar keinen Fall.«
Mario hörte, wie Saskandra leise lachte. »Du stellst dich gegen Zaidon? Sein eigener Wesir?«
Fenolf antwortete nicht darauf, sondern wandte sich um und fragte: »Talita, bist du in Ordnung?«
»Mir geht es gut«, antwortete sie.
»Dann kommt«, sagte Fenolf. »Wir müssen hier raus, bevor der Wächter seine nächste Runde macht.«
Mario fasste Talita an der Hand und zog sie mit sich. Sie stolperte hinter ihm her.
»Geht es oder soll ich dich auch tragen?«, fragte Mario.
»Es geht … nicht so schnell«, erwiderte Talita.
»Du kannst dich ruhig auf mich stützen.« Mario nahm Talitas Arm, legte ihn
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