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Die Ruhe Des Staerkeren

Die Ruhe Des Staerkeren

Titel: Die Ruhe Des Staerkeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Aber bewegen mußte ich mich die ganze Zeit, damit die Muskeln warm blieben. Bis der Anruf kam. Wieder sperrten sie mich in den Kofferraum. Bis soeben. Über spitze, verwitterte Steine werde ich zwischen fast kahlen Bäumen hindurch zum Fuß einer Doline geführt, trockenes Laub raschelt unter den kräftigen Schritten der Männer, manchmal knackt das Holz morscher Äste. Fahnen von Atemhauch vermischen sich mit Zigarettenrauch. Dann nähern wir uns anderen Personen. Zwei Frauen und sehr viele Männer. Jetzt klingen die Stimmen der beiden etwas freundlicher. Sie begrüßen andere Leute, deren Geruch mir nicht gefällt. Dann werde ich bis ganz hinab geführt, ich stehe in gleißendem Licht. Schwere Autos parken dicht an dicht am Rand des Abhangs. Mit aufgeblendeten Scheinwerfern leuchten sie das Gelände aus wie eine Arena. In einer mir unbekannten Sprache und mit lauter Stimme heizt der Organisator den gut hundert Personen ein, die zwischen den Fahrzeugen stehen. Zwei Männer gehen herum, nehmen dicke Geldbündel in Empfang, machen Notizen und stellen Quittungen aus. An einer Tafel, die an einem Baum hängt, macht der Buchmacher auf Zuruf der beiden seine Notizen, die Kreide in seiner Hand klackt, wenn er zu schreiben beginnt, dann kreischt sie. Einmal sind es mehr Striche auf der Seite, wo mein Name steht, dann wieder auf der anderen.
    Endlich sehe ich ihn. Er wird an der gegenüberliegenden Seite herabgeführt. Auch sein Hals ist eingeschnürt, wie ich zieht er heftig nach vorne und keucht, ringt verzweifelt um Luft. Fünfzehn Meter trennen uns voneinander. Ich hasse ihn. Wenn ich frei wäre, würde ich ihn auf der Stelle töten.
    Und er haßt mich.
    »Friends!« Der Promoter, ein Mann, der trotz der späten Stunde eine Sonnenbrille trägt, ein schwarzes Jackett, eine rote Fliege mit weißen Punkten und einen weißen Schal, verlangt nach Ruhe. Als die Stimmen endlich verklingen, wendet er sich an meinen Herrscher und an den des anderen. »Friends«, wiederholt er, »gebt euch die Hand, schwört einen fairen Kampf. Geht zur Waage.«
    Die beiden Hände berühren sich nur flüchtig. Ich werde zuerst gewogen, wieder hänge ich mit dem Halsband an einem Haken, und der Referee verkündet mein Gewicht. Mein Herrscher nimmt mich herunter und führt mich in so weitem Bogen zurück, daß ich dem anderen, den ich ständig beobachte, wie er mich, nicht zu nahe komme.
    »Wählt eine Seite der Münze«, ruft der Referee.
    »Kopf«, sagt der Herr meines Rivalen.
    »Zahl«, sagt meiner.
    Der Schiedsrichter wirft die Münze, die sich blinkend unter dem Scheinwerfer dreht. Er fängt sie auf und hält sie ins Licht. Der andere wird zuerst zum Eimer mit lauwarmer Seifenlösung geführt und mit einem Schwamm gewaschen, dann ich. Anschließend werde ich von meinem Herrn in ein weißes Frotté-Tuch gewickelt wie ein Champion und hochgehoben. Dann kommt ein Mann, den ich vorher nicht gesehen habe und den der Referee dem Publikum als »Taster« vorstellt. Er leckt mit der Zunge über meinen Nacken und schmatzt leicht, als würde er Wein probieren. Er nimmt einen Schluck Wasser, spuckt aus und geht zu meinem Rivalen, den er ebenfalls ableckt. Dann geht er zum Referee und flüstert ihm etwas ins Ohr. Der Promoter überreicht ihm im vollen Licht zwei rosarote Geldscheine.
    »Kein negativer Geschmack«, meldet der Referee. »Der Kampf kann beginnen.«
    Mein Herrscher zwinkert seinem Begleiter zu. Der Silikonfilm hat dem Seifenwasser standgehalten und die bittere Nikotinsulfatlösung überdeckt, die meinem Gegner nicht schmecken wird, sollte er mich zu fassen bekommen. Ich behalte meinen Gegner ständig im Auge. Selbst wenn sie mich in eine andere Richtung drehen, versuche ich mich zu wenden. Einer von uns muß der erste sein. Wer die erste Attacke gewinnt, ist im Vorteil.

Kaviar und Eisenbahn
    Warum, zum Teufel, hatte er das nicht früher gewußt? Er wäre längst zu Hause, wenn der kurzfristig anberaumte Streik des Bordpersonals der Alitalia seinen Reiseplan nicht umgeworfen hätte. Die staatliche Fluggesellschaft stand zum Verkauf, und die Gewerkschaftsbosse ließen noch einmal die Muskeln spielen, um für ihre Mitglieder Beschäftigungsgarantien herauszuholen, an die sich sowieso niemand halten würde, befände der Laden sich erst in den Händen der ausländischen Konkurrenz. Eine weitere Nacht in Rom zu verbringen war unmöglich, und so bestieg er schließlich zähneknirschend den Eurostar Rom–Mailand, stieg in Bologna in den Intercity

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