Die Ruhe Des Staerkeren
Polizistengehalt wegzulegen. Und das, obgleich sie äußerst sparsam lebte und so gut wie nie ausging.
»Ich glaube an Nachhaltigkeit.«
»An was?« Pina war schleierhaft, wie Nachhaltigkeit Zinsen abwerfen konnte.
»Die Nahrungsmittelkrise und die steigenden Preise für Lebensmittel sind nur dem Finanzmarkt zu verdanken.« Sedem schenkte beiden Whisky nach. »Die Hedgefonds haben mit dem Anbau nichts zu tun, sie spekulieren auf zukünftige Ernten, und ihre schnellen Gewinne können sie nur mit explosionsartig steigenden Preisen realisieren. Also setzt man alle Mittel ein, damit das passiert, bis hin zur Desinformation durch die Medien, die sich dem wirklichen Problem nicht annehmen.«
»Und das wäre?« fragte Pina skeptisch. Sie konnte sich kaum vorstellen, daß Sedems Ansicht zutraf. Sie war der Meinung, daß das Problem von den gestiegenen Energiepreisen herrührte und von langen Trockenheitsperioden in Australien und Afrika. So zumindest hatte sie es erst kürzlich in einer Fernsehdokumentation gesehen, und auch in der Presse hatte sie es so gelesen.
»Der Finanzmarkt hat ein immenses Problem«, fuhr Sedem fort. »Per Telefon oder Computer lassen sich in Sekunden Aktien und Optionen kaufen oder verkaufen, auf Erzeugnisse, deren Produktion Monate benötigt sowie Wochen für den Transport. Das hat mit der wirklichen Ernte überhaupt nichts zu tun. Es braucht heute dringend andere Reglements.«
»Aber man kann doch nicht alles kontrollieren, Sedem«, protestierte Pina. »Was regst du dich darüber auf?«
Einen Moment lang wurde sein Blick stumpf. Hatte sie ihn mit ihrer Antwort etwa enttäuscht?
»Ich habe Kinder«, sagte Sedem ganz unverhofft. »Es geht um deren Zukunft.«
»Kinder?« Pina erschrak heftig. Mit Kindern konnte sie in etwa so viel anfangen wie mit Hunden. Und ganz offensichtlich hatte auch Sedem zuviel getrunken.
»Drei Jungs in Nordvietnam, drei Mädchen in Indien. Dann einen Sohn in Sri Lanka, einen in Kambodscha und jeweils eine Tochter in Nigeria, Burkina Faso und der Elfenbeinküste sowie Zwillinge in Port-au-Prince auf Haiti.«
»Dreizehn Kinder?« prustete Pina und hielt sich den Bauch vor Lachen. Der Junge war wirklich originell.
Doch Sedem zählte ihre Namen und ihr Alter auf, welche Schulen sie besuchten, kannte ihre Noten und wußte, in welchen Fächern sie Probleme hatten. Pina schwirrte der Kopf, und sie spürte die Wirkung des Alkohols, doch sie war gegen alle Erwartungen gerührt, nachdem sie begriffen hatte, daß der Kerl nicht scherzte. Sedem war fünf Jahre jünger als sie und sprach von diesen Kindern mit einer Fürsorge, die ihr ans Herz ging. Ein behinderter junger Mann, der zu seiner Mutter keinen Kontakt hatte und einem Teil seiner Großeltern niemals begegnet war, adoptierte Kinder in der ganzen Welt. Sie bewunderte ihn.
»Dafür spekuliere ich. Ich stecke Geld aus meinen Gewinnen in ihre Schulen, und wenn sie einmal groß sind, werde ich ihre Ausbildung bezahlen. Ganz abgesehen davon, daß die halbe Menschheit nicht weiß, von was sie sich morgen ernähren soll. In vielen Ländern droht eine Hungersnot ungekannten Ausmaßes. Die Welternährungsorganisation spricht von einer notwendigen Soforthilfe von fünfhundert Millionen Dollar. Ein Klacks für die Industrienationen, doch sie zieren sich und werden jetzt wochenlang beraten. Dann wird die Weltbank einen Bruchteil dieser Summe zur Verfügung stellen und so tun, als sei das Problem damit erledigt, aber in der Zwischenzeit wird der Mangel immer größer. Verstehst du?«
Pina schüttelte wieder den Kopf.
»Um die eigene Bevölkerung ernähren zu können, sind Länder wie Vietnam dazu gezwungen, den Reisexport zu kontingentieren, der bisher eine Haupteinnahmequelle war. Die Vietnamesen haben einhundertfünfzig Jahre Krieg überstandenund wurden niemals wirklich besiegt. Aber was mit Waffengewalt nicht gelang, wird bald die Wirtschaft erledigen. Das Hauptziel der Preistreiberei auf dem Rohstoffmarkt ist aber ein völlig anderes: Wer jetzt in Lebensmittelkonzerne investiert, die Patente für gentechnisch manipuliertes Saatgut besitzt, wird am Ende als Gewinner dastehen. Aus der frisch geschürten Angst vor Hungersnöten entsteht am Ende die weltweite Zulassung. Das ist schon beinahe Organisierte Kriminalität.«
Pina kniff die Augen zusammen. Sedem schien ein Faible für Verschwörungstheorien zu haben, doch ganz von der Hand weisen konnte sie seine Behauptung nicht. Sie wußte sehr wohl, daß sich die richtig
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