Die Ruhe Des Staerkeren
Rollstuhl aus ihrem Blickfeld. Sie hatte ihren faden Espresso längst getrunken, als Sedem kam. Er stank nach Rauch, aber er war wenigstens wieder guter Laune.
»Was hat dein Vater mit diesen Grundstücksgeschäften zu tun?« fragte Pina.
»Das werde ich ihn fragen. Bisher wußte auch ich nichts davon.«
*
»Da ist ja ihr Kandidat auf der Abschußliste«, sagte Biason, schloß die Akte, in der er gestöbert hatte, und legte sie auf den Stapel zurück. Aber er machte nicht die geringste Anstrengung, sich vom Schreibtischstuhl des Commissario zu erheben. »Und die Schoßhündchen da an der Wand? Haben die auch mit ihm zu tun?«
»Ich wußte gar nicht, daß Sie meinen Job übernehmen wollen«, sagte Laurenti, der beim Betreten seines Büros staunend hatte zur Kenntnis nehmen müssen, daß der Geheimdienstler seinen Platz eingenommen hatte und in seinen Unterlagen stöberte. Sie waren nicht einmal verabredet. »Sie wurden doch nicht etwa degradiert?«
Laurenti hatte endlich eine Stunde länger geschlafen und war erst aufgewacht, als er den Duft des Kaffees wahrnahm,den Laura ihm unter die Nase hielt. Den Wecker hatte er mit einem herben Schlag vom Nachttisch gefegt und sich noch einmal umgedreht.
Als er endlich im Wohnzimmer auftauchte, saßen seine Mutter und Patrizia Isabella fröhlich schwatzend am Tisch und unterhielten sich über Babysachen. Laurenti trank seinen zweiten Espresso in der Küche und machte sich dann rasch auf den Weg. Er wollte vor Beginn der Zeremonie noch einmal mit Rožman telefonieren. Und noch auf der Fahrt ins Büro rief Galvano ihn an, dessen Stimme beleidigt klang.
»Du hast mir gar nichts von deiner Heldentat erzählt«, knurrte der Alte.
»Wovon?«
»Die Zeitung ist voll davon. ›Italien–Slowenien: Eine gemeinsame Zukunft im Namen der Sicherheit‹ steht hier. ›Die erste grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Ordnungskräfte begann mit einer wilden Verfolgungsjagd des Triestiner Vizequestore Laurenti in Slowenien.‹ Soll ich dir auch den Rest vorlesen?«
»Nein, bitte nicht. Ich kauf mir die Zeitung selbst.«
»Du könntest mir einen Gefallen tun«, sagte Galvano.
»Welchen?«
»Ich möchte auch gerne zu der Zeremonie in Rabuiese. Kannst du dafür sorgen, daß ich reinkomme?«
»Das fällt dir aber früh ein, Galvano. Dazu mußt du auf der Gästeliste stehen.«
»Deswegen rufe ich dich ja an. Ich hatte bis jetzt darauf gehofft, daß ich bei meinen Verdiensten automatisch eine Einladung bekomme, aber der Briefkasten blieb leer.«
Laurenti stöhnte.
»Das ist nicht meine Schuld, Galvano. Warum hast du nicht bei der Protokollabteilung angerufen, sie hätten dich sofort eingeladen. Aber jetzt sind die Listen längst ausgedruckt, und hübsche Hostessen mit Zähnen so lang wie ihreBeine werden sie prüfen und jeden eisern abweisen, der nicht draufsteht. Gnadenlos, wie früher die Grenzpolizisten, wenn jemand kein gültiges Dokument vorweisen konnte.«
»Meinst du wirklich, daß du gar nichts für mich tun kannst, Laurenti? Ich hab dir soviel geholfen, als ich noch im Dienst war.« Galvanos Stimme klang jetzt fast weinerlich.
Laurenti konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was daran attraktiv war, inmitten all der wichtigtuerischen Prominenz aus Politik und Wirtschaft in einem Edelfestzelt zu sitzen und Reden anzuhören, deren Inhalt man schon ahnte.
»Ich kann dir nichts versprechen«, sagte Laurenti zögerlich. Er hatte weiß Gott Besseres zu tun. »Ich ruf dich an, falls sich etwas machen läßt.«
Sein Vorzimmer war verwaist, auch Marietta hatte offenbar verschlafen. Aber selbst Pinas Platz war leer. Er erinnerte sich schließlich, daß sie gestern angekündigt hatte, ihrem Fuß eine Pause zu gönnen und der Zeremonie im Fernsehen zu folgen. In den anderen Räumen der Abteilung saßen nur drei Beamte, alle anderen waren in Rabuiese eingeteilt. Für diese Tage hatte der Präfekt Urlaubssperre verhängt, was die Kollegen schlechtgelaunt zur Kenntnis nahmen. Weil die Feiertage günstig lagen, hatten viele auf längeren Urlaub gehofft. Polizeikräfte aus anderen Regionen waren nach Triest abkommandiert worden, und sogar Antonio Sgubin, Laurentis ehemaligen Assistenten, hatte es erwischt. Das erweiterte Europa konnte keine Rücksicht nehmen auf die Bedürfnisse des einzelnen. Seit vorgestern herrschte ein Funktionärstourismus sondersgleichen, beginnend bei den baltischen Staaten, dann weiter entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs in Richtung Süden
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