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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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man nicht wissen konnte, ob die Gestalt überhaupt noch stehen bliebe oder in sich zusammenfiele.
    Er hielt sie fest und senkte seine Nase zwischen ihre Brüste. Sie roch so gut. Ihr Haar lockerte sich und plätscherte lose über ihre nackten Schultern, verhakelte sich in seinem Mund in zarter Konfusion. Und Alžbetas Haare waren eine Wucht! Braun wie reife Kastanien mit einem warmen goldenen Honigschimmer, einem Glanz, der sich in den natürlichen Locken mannigfach spiegelte und wiederholte, wie ein Wasserfall aus edlem Samt. Sie war eine der wenigen Damen des Hauses, die mit ihrem eigenen Haar spielen konnte, eine Krinoline bei Alžbeta anzufertigen war ein einziger Genuss. Der gemittete Scheitel betonte dann ihre aristokratische Stirn, die auf die Schultern herabhängenden Zapfenlocken und die seitlichen Lockentuffs mit ihren abstehenden Schlaufen und Blumen und dem Vielerlei an Bänderschmuck waren eine Verheißung für die ganze Welt. Und sie scherte sich nicht einmal darum, wie hübsch sie aussah! Sie verlangte viel mehr nach Gesprächen, wenn er bei ihr war, als dass sie sich nach der Prozedur des Frisierens auch nur eines ernsthaft interessierten Blickes im Spiegel gewürdigt hätte. Und sie war immer so herrlich direkt,sagte Dinge, die keine Frau sonst sagen würde. Es wird schon recht sein, es ist ja von dir, František, pflegte sie ihn zu beschwichtigen, wenn sie eines seiner Haarornamente, die er eigens für sie geschaffen hatte, wieder einmal nur kurz beguckte. So war es, Tag für Tag und Jahr für Jahr, bis sie genug gewartet hatte, bis er es begriff und sie ihn zu sich nehmen konnte, endlich, sanft in ihren Arm.
    Und darin unterschied sie sich so sehr von den anderen Frauen, sie war sich selbst genug.
    Heute war sie zerbrechlich wie eines jener Jungkätzchen, die durch die Flure tobten, und lag weich an seiner Brust. Ihr Atem ging schwer, sie roch nach gepuderter Haut und Rosenwasser, und irgendein neuer Geruch kitzelte František in seiner Nase. Vielleicht waren es aber auch die vielen Blumen, die sie frühmorgens taufrisch gepflückt und zusammengebunden, aber noch nicht alle eingestellt hatte. Die Sträuße lagen auf Tischen, Kommoden und Stühlen verstreut.
    Irgendetwas an der Art, wie sie heute seine Nähe suchte, überraschte ihn. Er hatte sich in den letzten zwei Jahren wohl daran gewöhnt, dass sie impulsiv sein konnte, hitzig, aber dieses Sich-an-ihn-Drängen war von einer anderen Herkunft. Er fragte nicht nach. Die Zeit mit Alžbeta hatte ihm gezeigt, dass sie nichts für sich behalten konnte, dass sie ihm doch anvertrauen würde, was immer es war.
    Alžbeta vertraute František blind.
    Seine Berührungen ihr Rückgrat entlang, über ihren Po, seine warmen, festen Arme, die Finger, die solche Wunderdinge hervorbringen konnten aus toter Materie wie Vogelschnäbelchen, Wurzelstücken, Muschelhälften und die damit etwas so Überflüssiges wie Haare zu wahren Kunstwerken werden lassen konnten, diese Finger führten nun Strich für Strich ihre Traurigkeit, ihre Angespanntheit, dieses ungewohnte Gefühl von Nicht-wissen-Können und doch Entscheiden-Müssen aus ihrem Körper hinaus.
    Sie hatte ihm so lange und so still entgegenschmachten müssen, sie hatte ihn über Jahre hinweg beobachtet und geprüft, sie hatte die eigene Leidenschaft, das eigene Hingezogensein zu ihm zügeln müssen, mit langen und ausgiebigen Ritten in die Wälder und über die Felder abtöten oder zumindest zeitweilig austreiben müssen, nie hätte sie sich erlaubt, eine solche Liebe einzugestehen vor der rechten Zeit. Und dass dieser Jüngling, der mit siebzehn den Vater an einer nicht heilen wollenden Rippenfellentzündung verloren hatte, das Einzige, was ihm geblieben war, da seine Mutter ja schon im Kindsbett verstorben war, dass dieser Junge Zeit brauchte, um erwachsen zu werden, eben Mann zu werden und damit fühlendes Wesen, nachdem er seine Empfindungen beim Verlust des Vaters wie über Nacht weggepackt hatte und fortan in einer seiner unzähligen Schachteln, die er in seiner Kammer aufgebahrt hatte, gefangen hielt, das spürte sie instinktiv. Und mit der Sicherheit jener, die durch die eigene Einsamkeit gegangen waren, wartete sie. Ihr Instinkt trog sie nicht, so viel war klar, so viel erkannte sie an dem herzlieben Blick, den er nicht wegschachteln konnte, so viel erkannte sie an der Qualität der Berührung, die unter seinen Fingerkuppen entbrannte, jedes Mal, wenn er ihren Haarknoten vom Nacken löste, und sie

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