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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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František sprach kein Wort, als er ihr Häkchen für Häkchen durch Öse für Öse zog, als er an den Bändern schnürte, dass ihr die Luft für einen kurzen Schrei ausblieb, ihr die Puffärmel aufdrapierte mit einigen wenigen, lässigen Knuffen. Dann stellte er sich hinter die sitzende Schöne und griff ihr gekonnt ins Haar. Er sah, dass sie lächelte.
    Ja, ihr kleiner František war doch tatsächlich zum Mann geworden. Sie wusste, worauf sie sich verlassen konnte, und eines davon war ganz bestimmt ihr Instinkt.

la famiglia
    Bergamo, 1859
    Bèrghem war also nach jahrhundertelanger österreichischer Herrschaft wieder italienisch geworden und 1859 zur Provinzhauptstadt des Königreichs Italien avanciert. Die Stadt zählte bald 20   000 Einwohner, und das Eisendrahtgewerbe florierte. Vitale Senigaglia hätte nicht zufriedener sein können mit sich und seinem Leben. Er hatte ein gutes Auskommen und eine arbeitsame Frau. Giuseppina hatte ihm in den zwölf Jahren ihrer Ehe sieben Kinder geboren, wovon fünf noch lebten, eine gesunde Horde, alles Jungen, die bald ins anpackende Alter kommen würden und ihm unter die Arme greifen könnten; Vitale war’s zufrieden.
    Besonders gefiel ihm Serafino, sein Erstgeborener. Der Neunjährige hatte ein stabiles Gemüt und war ihm wie ein gelehriger Schatten beständig auf den Fersen. Er lernte mit den Augen, und wenn er mit seinen Kinderhänden nach den Materialien des Vaters griff, so tat er dies nie unüberlegt, sondern wie ein Sachverständiger auf dem Gebiet des Drahtziehens. Wenn er es genau nahm, so war Serafino gar nicht sein Erstgeborener, vor ihm war noch Vitale junior gewesen, dieser aber hatte entgegen seinem Namen nur zwei Tage und drei Stunden gelebt, dann war er reglos und ohne einen Laut des Protestes von ihnen gegangen. Ein totes Kind in der Tannenholzwiege, das kam seine Frau Giuseppina hart an, Vitale musste darum bemüht sein, bald Ersatz zu schaffen. Ein Segen der Natur, dass sie beide so gesund und eben: stabil waren, so ließ die zweite Schwangerschaft nicht lange auf sich warten. Das einzige Mädchen, das Giuseppinagebar, Maria Giuseppa, starb dann aber ebenfalls an ihrem zweiten Lebenstag. Sie beschlossen, nicht aufzugeben. Bei ihrer dritten Schwangerschaft bestand Giuseppina darauf, das werdende Kind bereits vor seiner Geburt mit einem Namen zu bedenken, der Schutz verspräche: Serafina, wenn es wieder ein Mädchen sein sollte, und Serafino, wenn es ein Junge war. Und so kam Serafino zu ihnen, von allen Engeln dieser Welt beschützt oder auch nur von dem einen; und dieses Kind blieb ihnen erhalten.
    In kurzer Folge gebar Giuseppina danach vier weitere zähe Jungen. Auch gut, so konnte man an Kleidern sparen, und auch sonst war vieles einfacher, wenn die eigene Kinderschar aus nur dem einen Geschlecht bestand, entschied sie. Und wenn alle so gefällig und pfiffig wie sein Serafino herauskommen würden, dann wäre einst auch ihr Lebensabend gesichert, fügte Vitale hinzu.
    Vitale war ein Mann, der sich auf alles vorbereitete, was da je kommen könnte, Überraschungen waren seine Sache nicht. Und so händigte er seiner Frau regelmäßig das Geld aus, das er für die Familie auf die Seite gelegt haben wollte. Auf dass sie es in die hart mit Stroh und Werg gestopfte Matratze einnähte, da, wo die Naht schon sichtbar mehrfach aufgedröselt und wieder zugestichelt worden war.
    »Bald werden wir ihm Schuhe kaufen müssen, und wenn er so weiterwächst, auch gleich die ersten langen Hosen.«
    »Das hat noch Zeit, Peppa, wir wollen nichts übereilen.«
     
    Giuseppina, Peppa, wandte sich der flachen Pfanne mit der Polenta zu. Im Blechtopf köchelten die Lammpolpette, es roch nach frischen Lorbeerblättern und Estragon, der von Vitale geliebten Mischung sizilianischer und bergamasker Küche. Ein Festmahl, ja, es ging ihnen gut.
    Mit ihren bloßen Händen holte Giuseppina das Weißbrot aus dem Ofen, ihre vielen Schwielen machten jeden Topflappenüberflüssig. Rasch legte sie den heißen Brotlaib auf die Anrichte, und schon drehte sie wieder mit der Holzkelle die Polpette in ihrer sämigen roten Sauce um. Das Ragout konnte noch eine Weile vor sich hin simmern, Zeit genug für Peppa, um den Tisch zu richten. Mit ihrer Schürze wischte sie die Kastanienholzplatte sauber und platzierte sieben Keramikschalen und sieben Löffel aus Blech. Dem Mann ein Stofftuch als Serviette und den Kindern die Becher, die sie Zia Clara letzten Winter, als das Leben hart war und Zia Clara

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