Die Ruhelosen
dringend Geld für den Doktor benötigte, abgekauft hatten. Und schließlich die zwei bunt geäderten Kelche aus teurem Muranoglas, ein Hochzeitsgeschenk ihrer Eltern, das sie nur einmal im Jahr hervorholte, eben dann, wenn ihr Mann Vitale »sein Fest« feierte. Sie rieb sich die Hände am Schurz.
Peppa hatte früh schon ein runzeliges Gesicht bekommen, die Arbeit auf den Feldern, auf dem kleinen Hof und später in der eigenen Familie, hatte ihr immer viel abverlangt. Von Geburt an eher zerbrechlich, lernte sie, auf die Zähne zu beißen und durchzuhalten, bis ihr Knochengebilde, wie sie es selber nannte, zu einer Metallschnur geworden war, die einzig in Vitales Händen weich werden konnte. Ein Skelett aus Draht, das hält bis zum Sankt Nimmerleinstag, war ein Scherz, den sich ihr Mann ab und an, wenn er sich an sie schmiegte, erlaubte. Dann kicherte er wie ein Kind, und sie hatte Angst, dass sie erneut empfangen könnte, fünf von sieben war wirklich Glück genug, welcher Mensch hätte da noch mehr verlangt?
In der Kindheit hatte sie sich mehrfach Zehen, Knöchel und Schienbein an Steinen gestoßen, war gefallen und wieder gefallen und, sie konnte sich nicht erklären wie, hatte sich dabei etliche ihrer Knochen entzweigebrochen. Aber eine Zehe war nur eine Zehe, und, egal ob schief oder krumm, die würde schon irgendwie neu zusammenwachsen.
Als sie Vitale, diesen schlanken, überschaubaren Mann mit seinem verschmitzten Lächeln und der Ernsthaftigkeit auch, mit der er jeden Schritt einzeln auf den Boden setzte, das erste Mal sah, schämte sie sich keinen Moment für ihre krummen Füße. Sie warf die Zöpfe nach hinten und schnatterte munter drauflos. Irgendetwas über Polpette, und: Ihr Nordländer wisst ja nicht, was ein gutes Essen ist! Zusammen mit ihren Cousinen und Schwestern, den Zias und den Nonnas, war sie in der Küche eingeteilt, um für das Hochzeitsfest von Vitales Vater zu kochen. Er hatte in zweiter Ehe nach dem Süden hin geheiratet, und so kam es zu dieser einen Begegnung, die für die beiden jungen Menschen schicksalhaft war.
Vitale hatte seine frisch gewaschene Kappe noch lange vor der Brust gehalten, hatte diesem Mädchen, das da mit natürlichem Stolz und selbstbewusst gerecktem Hals, kanariengelbe Bänder in den Zöpfen, spottend vor ihm davongestolpert war, nachgeschaut: Diese oder keine, sein Beschluss stand fest.
Dass er dann nach einem scheuen Kuss auf den Mundwinkel und ein bisschen Händedrücken und einer einzigen hastigen Umarmung ganze zwei Jahre auf ihr Erscheinen vor seiner Haustüre oben im Norden, in Bèrghem, warten musste, machte ihm nichts aus. Sie war gekommen. Bewies, dass sie wusste, was es hieß, ein Versprechen einzuhalten. War eine wohlerzogene junge Frau, sparsam und patent, nicht so wie die Mädchen von heute – auch darum war er nun froh, dass seine fünf Kinder Buben waren, bei Mädchen konnte man ja seiner Ehre nicht mehr sicher sein. Aber Peppa, Peppina, war eine von alter Erziehung, eine, die Tradition hatte und den Mann nicht in Frage stellte, die zu ihm halten würde, selbst wenn es in der Drahtzieherei einmal nicht mehr so gut laufen sollte, Peppa würde einfach mit der Zunge schnalzen und weitermachen. So war sie: Einmal aufgezogen, lief sie bis in alle Ewigkeit.
All ihre kleinen Brüche und Gebresten hatten aus Peppa diese vorzeitig gealterte, drahtige Frau gemacht, die jetzt in ihrer Küche stand und nach den Kindern, nach dem Mann rief.
Und wie sie angestürmt kamen, aus allen Winkeln, vom Dach und aus der Scheune, vom Flüsslein oder vom Wald, eine Meute hungriger blonder Wölfe! Der gesamte Männerstamm Senigaglia war biondo, blond, und blauäugig mit dazu. Sie hatte oft genug damit zu tun, dieses struppige strohhelle Haar zurechtzuharken mit ihrem grob gezinkten Kamm, den alle fast mehr noch fürchteten als den Lausrechen mit seiner eng beieinanderstehenden Zinkenreihe, den Giuseppina einmal jährlich bei den Kindern zum Einsatz brachte.
Sie überprüfte, ob alle saubere Hände hatten, und schickte den einen oder anderen stracks nach draußen zum Quellbrunnen. Murren wurde mit lautem Schimpfen quittiert, und als auch der Vater endlich saß, saßen da mit ihm um seinen Tisch vereint fünf adrette, aufgeweckte Blondschöpfe und eine bedürfnisarme, brave Frau. Ihre grauen Strähnen hielt sie mit einem Kopftuch zurück, ihre Hände waren bis auf ein schlichtes Goldband um den Ehefinger unberingt.
Nach dem Tischgebet, einem denkbar kurzen, vom Vater
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