Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
Vom Netzwerk:
würde mich ganz arg freuen!«
    Und so ward’s also abgemacht, Mondaine ging nach der Filmschau ins Hotel Bellevue Palace, um ihrer Freundin Elsie den Gefallen zu tun, gemeinsam dieses ominöse – umwerfende – Orchester anzuhören.
    Das Bellevue Palace galt als ein beliebter Treffpunkt für die staatstragende Classe politique, für Diplomaten, Journalisten, Beamte, welche in der Kriegszeit zwanglos Informationen austauschen und Pläne schmieden wollten. Im Restaurant Terrasse verlief eine unsichtbare Grenze, welche den Hausfrieden sicherte und das Lokal in zwei Hälftenteilte: Auf der einen Seite frequentierten Gäste aus den Achsenstaaten die Tische, derweil vis à vis Zugehörige der Alliierten ihre Cocktailgläser zum Klirren brachten. Und ab und zu kam es sogar vor, dass der eine dem anderen über diese hingedachte Demarkationslinie zuwinkte und ihm einen halbherzigen Trinkspruch hinüberprostete. Eine Provokation, die die Kellner nicht gern sahen und durch hektisches Treiben zu verwischen versuchten.
    Für ein jedes Orchester war es ein Segen, im Bellevue Palace zu gastieren. Erstens, weil man sich in der schweizerischen Bundeshauptstadt einigermaßen sicher wähnte, und zweitens, weil die Schweizer Crème, die sich über die Wintermonate einmietete und eigentlich schon vom Herbstbeginn bis zum ersten zaghaften Frühlingskrokus in den beheizten Räumen wohnen blieb, sich äußerst spendabel gab. Wenn nur die Musik gut spielte, wenn nur die Laune damit aufgeheitert wurde. Wenn nur der Krieg weit draußen blieb.
    Mondaine kannte das Bellevue, als wäre sie hinter diesen Sandsteinfassaden großgeworden, alles war ihr eingeprägt durch zahlreiche Besuche, die Teppiche, die ihre Schritte dämpften, ebenso wie die kristallenen Lüster, die ihr Kommen wie mit goldenem Scheinwerferlicht, das sich ihr Hayworth-Haar als Reflexionsfläche auserkoren hatte, ankündigte. Sie nickte den Bediensteten einen kurzen Gruß zu, als diese für sie lautlos die Flügeltüren zum Orchestersaal öffneten. Unbegleitet schritt sie durch die wogende Menge der Tanzenden und Wirbelnden.
    Als sie sich neben der Freundin am Rande auf eine Chaiselongue platzierte, tätschelte sie ihr kurz den Arm. Sie kramte in ihrem Täschchen und betrachtete schließlich mit ihrem strassbesetzten Zeiss Opernglas die Szenerie. Damen in den allseits begehrten Verwandlungskleidern, Rüschen an Blusen, die sie mittels Schlaufen, die sie hier oderdort, so oder anders anbrachten, verändern konnten, beherrschten das Bild. Wespentaille, Schnallenpumps, Seidenhandschuhe bis zu den Ellenbogen und breitkrempige Hüte flatterten durch den Saal, ließen sich durch Wiener Walzer führen und hüpften mit den Hüften bei den jazzigeren Stücken auf und ab. Extravagante Frisuren garantierten Mondaines Vater den Erfolg, für den die Begleiter der Damen, ihre Ehemänner, ihre Maîtres de Plaisir, ihre Sugar-Daddys aufkommen mussten.
    Ein lebhaftes Potpourri aus Ouvertüren und einzelnen Abschnitten verschiedener Werke von Jacques Offenbach, Fritz Kreisler, Pjotr Iljitsch Tschaikowski, François Adrien Boïeldieu, Johannes Brahms, von Vater, Sohn und Sohn – der ganzen Dynastie – Strauß und von Adolphe Charles Adam. Der Pianist war unverkennbar begabt, aber da war noch einer, ein anderer Musiker, der Mondaine faszinierte, wann immer sie seinen Blick auf sich forschen spürte, ein Brennen, das er damit bei ihr auslöste, eine mit Wärme angefüllte Begeisterung: der Erste Geiger.
    Sie begann zu transpirieren in ihrem knielangen Kleid mit dem Peter-Pan-Kragen und einer Fliege als Verschluss. Nervös strich sie sich die Falten zurecht, fuhr mit der Hand über die Ziernähte, die auf ihrem Brustkorb lagen, prüfte, ob die Manschetten ordentlich verschlossen waren. Schwitzte unter ihrem Tuch.
    Als das Stück – ein beschwingtes Thema von Lehár – zu Ende gespielt war, neigte sie sich ihrer Freundin zu und flüsterte: »Du, ich glaube, der Prímás, die Erste Geige, kommt gleich noch zu uns.«
    »Nein, wieso?«
    »Sieh doch, der kommt.«
    Und wirklich, in seiner Orchesterkleidung, schwarze Hose, weißes Hemd mit Trompetenärmeln, buntbestickte Zigeunerweste und rotes Halstuch, keck, wie Elsie fand,oder verwegen, Mondaines Verdikt, schritt Abel Ditrich an das Tischchen der beiden jungen Damen, sagte galant:
Mademoiselles,
und wartete höflich, aber beharrlich und mit der Zuversicht eines Allseitsgeliebten darauf, dass man ihm mit einer luftigen Geste aus dem Handgelenk

Weitere Kostenlose Bücher