Die Ruhelosen
des Jahres 1941 standen die Mannen der Küsnachter Feuerwehr und zahlreiche Freiwillige in Reih und Glied und opferten einen Nachmittag, um Rodungen im Quartier Erb vorzunehmen. Vom Gemeinderat gutgeheißen, war diese Aktion ein voller Erfolg. Auch Klein-Nunzios Götti war mit von der Partie und sein Vati. Begeistert war ihnen der Bub zusammen mit einer Horde Gleichaltriger nachgerannt. Unter Hurra-hurra-die-Feuerwehr-ist-da-Rufen fühlten sich ihre Väter, Brüder, Onkel und Göttis angespornt und wichtig. Auch manch eine Mutter schwenkte ein rotes oder weißes Tüchlein am Fenster und schaute den Männern dabei zu, wie sie mit Spaten und Zapi, mit Hacken und Schaufeln ihren Fußmarsch durchs Dorf dem Fichtenwälchen im Erb entgegen aufnahmen. Oben im Erb wurden sie dann von der eigentlichen Rodungsequipe in Empfang genommen, angeführt von echten Förstern und richtigen Waldarbeitern, hier waren sie die Handlanger, Helfer oder Helfershelfer und führten einfache Anordnungen aus. Aber sie lernten mit jedem Handgriff dazu, und sie lernten schnell. Sprangen zur Seite, wenn wieder ein Baum fiel, und verstanden den Nutzen von Kerb- und Fällschnitt, die Art und Weise des Anschrotens, lernten, wie man den Kehrhaken anzubringen hat und wie mit dem Gertel zu hantieren war.
Ganz verdreckt, aber wie von innen heraus glühend vor lauter Werkstolz, kamen sie abends nach Hause gestolpert, nicht ohne vorher beim Wirt des Weinbergs eingekehrt zu sein, und Mutter Alda bewirtete sie obendrein mit süßen Fotzelschnitten. Zuerst überrascht, dann ordentlich empört,hörte Nunzio den Männern zu, die zu berichten wussten, dass manch ein Fußballfeld zu Pflanzplätzen für Höckerlibohnen und auch einige Sumpflandschaften trockengelegt, melioriert, werden müssten. »Da ist noch lange nicht alles getan!«
Und – völlig unverständlich: Im Oberland gäbe es Aufmüpfige, die dagegen protestierten, dass ihr Ried zur Scholle würde, aber das mochten ja keine rechten Schweizer sein, die so einen Protest hinausposaunten! »Der soll mir nur kommen, dieser falsche Eidgenoss, so schnell kann der gar nicht laufen! Kein Spaten jedenfalls soll in unseren Kellerecken rosten«, echote der Götti und ahmte damit Worte aus Wahlens Rede nach.
Nunzio staunte und schoppte ein weiteres Stück mit Zucker, Zimt und Ei gerösteten Brots in seinen Mund. Seit die Bäcker nur noch altes Brot verkaufen durften und die Abgabe von frischem Brot polizeilich geahndet wurde, hatte er sich daran gewöhnt, dass seine Mutter immer neue Rezepte ersann, mit denen sie den harten Kanten doch noch etwas Feines abgewinnen konnte. Erst heute hatte er ein kleines selbstgemaltes Plakätli beim Bäcker gesehen, auf dem stand: »Altes Brot ist nicht hart, aber kein Brot, das ist hart!« – mit diesem schweizweiten Slogan wollte der es der Küsnachter Bevölkerung wohl versüßen, dass sie nun von 24-Stündern auf 48-Stünder umzusteigen hätten. Mit den gleichen strafrechtlichen Konsequenzen bei allfälligem Nichtbeachten.
Noch bevor sie fertig gegessen hatten, kamen die allabendlichen Tätigkeiten zur Verdunkelung. Die Mutter löste die Posamente und zog die schwarzen Vorhänge vor den Fenstern zusammen, und Nunzio wusste, dass spätestens jetzt auch die letzten Autoscheinwerfer abgeklebt wurden mit blauem Folienpapier. Die meisten Wagen waren ohnehin aufgebockt und harrten einer Zeit, in der siesich wieder einmal würden nützlich machen können. Nur Vatis Austin rumpelte dann und wann noch durch das Dorf, wenn der Götti für ihn Benzin hatte auftreiben können und Vati eine Fuhre Fensterläden transportierte.
»Vielleicht müssen wir doch noch einmal ins Reduit flüchten. Unsere Armee ist ja auf einem hundslausigen Niveau …«
»… in Auflösung begriffen, wenn du mich fragst …«
»… und wenn erst der Deutsche kommt …«
»… ist Schluss mit der Schweizer Neutralität!«
»… in Italien wissen sie ja längst auch nicht mehr rechts von links zu unterscheiden …«
»… das schöne Italien …«
Und wie auf Geheiß starrten alle Augenpaare auf den bequemen Ecksitz der Nussholzbank, dorthin, wo die Nonna auf einem dicken Kissen thronte, war doch heute ihr Abholabend an der Dorfstraße.
»Nonna! Sprich noch einmal so, wie du früher gesprochen hast!«
»Ah, ich habe so vieles vergessen!«
»Was hast du damals zu Nonno gesagt, als du ihn in der Schweiz wiedergetroffen hast?«
Über Comsolas Stirn flackerten kleine Sternchen der Erinnerung, und ihr
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