Die Runde der Rächer
manche Konvention hinwegsetzte. Sie war drei Jahre jünger als Ethan. Im Gegensatz zu seinen dunklen Haaren sahen ihre aus wie frisch gebleicht, und sie hatte sie sich zu einem Pagenschnitt schneiden lassen. Sie wechselte ihre Frisuren so oft wie Madonna, und natürlich schimmerten auch einige Tattoos auf ihrer Haut.
An diesem Abend hatte sie sich für einen violetten Lippenstift entschieden und ihre Finger- und Fußnägel in der gleichen Farbe geschminkt. Sie schob die Unterlippe vor. Ihre momentane Ruhe war nur gespielt, das wusste Ethan, und auch das zuckersüße Lächeln war so falsch wie das Gebiss eines Hundertjährigen.
»Tu was!«
»Ja.«
»Lass dir was einfallen!«
Diesmal grinste Ethan Haycock. »Ich habe mich schon entschieden, Schätzchen.«
»Sag das nicht. Ich hasse das!« Sie funkelte ihn an. In ihren blauen Augen schienen Blitze zu tanzen.
»Wir gehen.«
Brenda schwieg. Der Vorschlag hatte sie sprachlos gemacht. Mit der Faust schlug sie wütend gegen das Handschuhfach. »Ist das alles, was dir dazu einfällt?«
»Sag mir eine bessere Lösung.«
»Ruf die Bullen an!«
»Toll. Was soll ich denen sagen? Holt uns ab, weil hier jemand sitzt, der nicht laufen kann, weil er die falschen Treter trägt? Nein, so läuft das nicht.«
Brenda hatte wirklich zu viel gekokst, denn sie fing wieder an zu schreien. Diesmal riss sie den Mund auf, so weit sie konnte. Die schrillen Schreie wurden tief in ihrer Kehle geboren. Sie schüttelte den Kopf, und Ethan hatte das Gefühl, als wäre eine schrille Säge dabei, ihm die Töne durch die Ohren zu schleifen.
»Hör auf!«, brüllte er sie plötzlich an und hob seinen Arm, als wollte er sie schlagen.
Sie war auch still. Überrascht schaute sie auf seine Faust. »Wag es nicht verdammt.«
»Dann halte dein Maul!«
Brenda zischte die Luft ein. Ethan erwartete eine Schimpf- und Fluchkanonade, aber da hatte er sich geirrt, denn sie tat gar nichts. Zumindest sprach sie kein Wort, aber der Ausdruck ihrer Augen veränderte sich, als sie an Ethan vorbei durch das Wagenfenster sah, hinter dem die Straße lag. Sie wurde von alten Häusern flankiert, die im Dunkel der Nacht alle gleich aussahen, weil in dieser Gegend kaum Straßenlaternen brannten.
Ethan entspannte sich wieder. Allerdings nur für einen Moment, denn eine andere Spannung kehrte zurück, und die hing mit der Haltung seiner Freundin zusammen, die ihm überhaupt nicht gefiel. Hatte sich auf ihrem Gesicht vorhin noch Wut abgezeichnet, so sah er jetzt Furcht, die in die Züge hineinkroch.
»Was ist denn?«, flüsterte er.
»Scheiße. Jetzt ist es passiert.«
»Was?« Als er keine Antwort bekam, stieß er Brenda an. »Sag doch was, verflucht?«
»Sie kommen, Ethan. Schließ die Türen. Aber sofort!«
Ethan wusste, wo er sich befand, auch wenn ihm diese Gegend bisher persönlich unbekannt gewesen war. Er brauchte nur in Brenda’s Gesicht zu schauen und sah einen Ausdruck darin, wie er ihn noch nicht bei ihr erlebt hatte. Sie blickte mit starren Augen an ihm vorbei, als hätte sie eine Horde von Monstern entdeckt.
Ethan Haycock blieb stumm. Im Mund spürte er plötzlich einen widerlichen Geschmack. Er ahnte, dass etwas auf ihn zukam, aber er wagte nicht, Brenda zu fragen, was sie so erschreckt hatte.
Noch während er sich drehte, um die Wahrheit herauszufinden, bewegte sich seine Freundin hektisch und drückte die Stifte der Türen nach unten.
Ethan ließ sie gewähren. Er sprach kein Wort mehr, aber er wurde immer bleicher.
Der Grund dafür waren die vier Gestalten, die nebeneinander und mit langsamen Schritten die Straße überquerten. Es waren die aus der Gegend. Diejenigen, die immer irgendwie auf der Lauer lagen, egal, ob am Tag oder in der Nacht. Sie wollten sich etwas holen, was ihnen ansonsten versagt war, denn ihr Gerechtigkeitsgefühl sah anders aus. Sie empfanden es als ungerecht, dass die einen so viel hatten und die anderen so wenig, und sie würden es auf ihre Art und Weise richten.
Vielleicht wollten sie nicht mal an die Menschen heran, sondern nur an die Dinge, die ihnen gehörten. Sie wollten sie zerstören. Allein, um zu zeigen, dass auch sie eine gewisse Macht besaßen und andere vor ihnen kuschen mussten.
Vielleicht hatten sie mal Mafia-Filme oder Western gesehen, denn ihr Verhalten ließ darauf schließen. Sie bildeten die Viererkette und hielten sich so dicht beieinander auf, dass sie sich gegenseitig berührten. In der Dunkelheit wirkten sie irgendwie gleich, und das betraf
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