Die Runen der Erde - Covenant 07
sich aufzusetzen.
»Erst Wasser«, sagte er, als wusste er, was sie brauche. »Dann Brot. Später etwas Fleisch und Dörrobst.«
Im Sitzen spürte sie kalte Luft durch das Einschussloch in ihrer Bluse dringen, fühlte den Wind auf ihrer Stirn. Ihre Haut war nicht mehr feucht. Eigentlich hatte sie gar nicht viel Durst. Oder vielleicht hatte sie schon vor längerer Zeit zu schwitzen aufgehört, weil ihr die Feuchtigkeit dazu fehlte.
Vielleicht erklärte das ihre Schwäche.
Mit Liands Hilfe führte sie den Wasserschlauch an ihren Mund, trank ein paar Schlucke. Fast augenblicklich schien ihr aus allen Poren der Schweiß auszubrechen.
»Dehydrierung«, sagte sie sich schwach. »Wie konnte ich bloß so dämlich sein?« Schließlich war sie Ärztin, verdammt noch mal – mit den Auswirkungen von Überanstrengung vertraut. Sie hätte wissen müssen, was dagegen zu tun war.
»Meine Schuld«, murmelte sie, nachdem Liand ihr nochmals trinken geholfen hatte. »Ich habe nicht an Wasser gedacht.« Bis sie die Wolldecke verloren hatte, musste sie darunter stark geschwitzt und viel Flüssigkeit verloren haben. »Jetzt geht es mir gleich wieder gut.«
Der Steinhausener machte ein skeptisches Gesicht. »Ich weiß nicht recht. Unsere Reise hat erst begonnen. Nehmen die Meister uns nicht gefangen, stehen uns viele noch anstrengendere Tage bevor. Ich fürchte, dass du nicht durchhalten können wirst.«
Du vielleicht auch nicht, hätte sie am liebsten gesagt, aber dann beherrschte sie sich um seinetwillen. Stattdessen zeigte sie auf den Wasserschlauch und fragte: »Können wir den unterwegs wieder füllen?«
Er runzelte die Stirn. »Linden Av... Linden. Ich war noch nie so hoch in diesen Bergen. Ich weiß nicht, was alles vor uns liegt.« Als hätte er Mitleid mit ihr, fügte er hinzu: »Ich bin sicher, dass wir überall Bäche und Quellen finden werden. Und in hohen Lagen liegt weiter Schnee. Trink nur, so viel du willst. Sicher müssen wir das Essen gut einteilen, aber mit Wasser zu sparen wäre falsche Sparsamkeit.«
»Dann brauchst du dir um mich keine Sorgen zu machen«, versicherte sie ihm. »Ich werde zäher.« Das würde sie tun müssen. »Und ich achte besser auf meinen Körper.«
Liand nickte, sichtlich nicht überzeugt, und wandte sich ab, um das Essen auszupacken, das er ihr versprochen hatte. Während er damit beschäftigt war, sah Linden sich nach Anele um. Rechts von ihr, wo Steinhausen Mithil und die Südlandebenen lagen, versperrten ihr Felsblöcke, die auf dem zu der Kluft hinunterführenden Geröllfeld übereinander aufgetürmt waren, die Sicht. Liand hatte es irgendwie geschafft, sie bis zu dieser Stelle zu lotsen, wo Felsen ihnen Windschutz boten. Über die Blöcke hinweg konnte sie nur Berge und Himmel sehen; ihre Gefährten und sie waren vom Tal aus nicht mehr zu sehen. Waren sie nicht entdeckt worden, bevor sie die Kluft erreicht hatten, waren sie jetzt für die Meister unsichtbar. Auf der anderen Seite konnten sie natürlich auch nicht sehen, ob sie verfolgt wurden.
Links von ihr stieg das Gelände nach Süden hin weglos in ein schluchtartiges Tal an, und dort entdeckte sie schließlich Anele. Er saß einige Schritte über ihr auf Granit- und Obsidiangeröll, hielt den Kopf schief, begutachtete mit blicklosen Augen die gegenüberliegende Felswand und murmelte vor sich hin. Linden trank noch etwas Wasser und bemühte sich, ihren schwindenden Sinn für das Gesunde auf ihn zu fokussieren.
Körperlich sah Anele nicht schlimmer als bei ihrer ersten Begegnung aus: müde, gewiss, und unterernährt, aber von Erdkraft und alter Sturheit angetrieben. Er machte den widersprüchlichen Eindruck, er habe bereits mehr Entbehrungen ertragen, als ein gewöhnlicher Körper aushalten könne – und sei trotzdem noch längst nicht mit seinen Kräften am Ende. Was seinen geistigen Zustand betraf, konnte sie hier im tiefen Schatten nicht viel unterscheiden. Die Phasen seiner Geistesgestörtheit schienen sich jedoch stabilisiert und ihn in dem halbwegs vernünftigen Zustand zurückgelassen zu haben, in dem sie auf den Trümmern des eingestürzten Kevinsblicks mit ihm geredet hatte. Dort hatte er davon gesprochen, wie er in den Felstrümmern las. In seiner bruchstückhaften Art hatte er versucht, ihr zu erzählen, was er sah.
Sein einziger Freund ist der Stein.
Außer ihm hatte Linden niemanden, der ihr auch nur andeutungsweise schildern konnte, was mit dem Land geschehen war.
Sie kam unsicher auf die Beine. Sobald sie
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